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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis
Autoren: Jesu’s Sohn
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hätte, der auf einem winzigen Stuhl kauerte. Der Wüstentag glühte schon; doch nichts konnte die kleinen Blüten ersticken.
    Eines Tages, ich hatte das Gelände gerade durchquert und ging hinter einer Reihe von Wohnhäusern zur Bushaltestelle, hörte ich eine Frau unter der Dusche singen. Ich mußte an Meerjungfrauen denken: die verfließende Musik von fallendem Wasser, das liebliche Lied aus dem kühlen Gemach. Es dämmerte, und von den flirrenden Gebäuden kam noch Hitze. Auf den Straßen staute sich der Abendverkehr, aber der Wüstenhimmel saugt den Autolärm sozusagen auf, macht ihn matt und leise. Von allem, was ich hörte, drang nichts klarer zu mir als ihre Stimme.
    Sie sang mit der Unbewußtheit, der Selbstvergessenheit einer Gestrandeten. Sie dachte offenbar gar nicht daran, daß man sie hören konnte. Es klang wie ein irisches Kirchenlied.
    Ich dachte: Von der Körpergröße her müßte ich wohl in der Lage sein, einen Bück durch ihr Fenster zu werfen, und es sah nicht so aus, als ob mich jemand dabei erwischen würde.
    Die Wohnhäuser hatten alle die übliche Wüstenbepflanzung verpaßt bekommen – kein Rasen, dafür Kies und Kakteen. Ich mußte vorsichtig auftreten, damit der Kies nicht knirschte: nicht daß irgendwer meine Schritte hätte hören können. Aber ich selber wollte sie nicht hören.
    Unter dem Fenster war ich durch ein Spalier von Purpurwinden vor Blicken geschützt. Der Verkehr strömte vorbei wie immer; kein Mensch bemerkte mich. Das Badezimmerfenster war schmal und hoch. Ich mußte mich auf die Zehenspitzen stellen und mieli mit beiden Händen festhalten, um das Kinn über das Fensterbrett zu kriegen. Da war sie schon aus der Dusche getreten: eine Frau, so lieblich und jung wie ihre Stimme, aber kein Mädchen mehr. Ihre Figur war eher drall. Sie hatte helles Haar, das ihr glatt und naß fast bis zur Taille reichte, und wandte mir den Rücken zu. Inzwischen waren der Spiegel und auch das Fenster ein bißchen beschlagen, sonst hätte sie wohl im Spiegel meine Augen gesehen. Ich fühlte mich federleicht Ich klammerte mich ohne jede Mühe ans Fensterbrett Ich wußte, wenn ich jetzt losließe, würde ich kaum den Mut aufbringen, mich noch mal hochzuziehen – war ja gut möglich, daß sie sich dann zum Fenster umdrehen, daß sie aufschreien würde.
    Rasch, energisch trocknete sie sich ab und berührte sich dabei kein einziges Mal auf sinnliche oder auch nur zärtliche Weise. Das enttäuschte mich. Doch es war auch wieder jungfräulich und erregend. Ich überlegte, ob ich nicht das Fenster einschlagen und sie vergewaltigen sollte, aber ich hätte mich geschämt, wenn sie mich gesehen hätte. Ich glaubte zwar, daß ich zu so etwas in der Lage wäre, aber nur mit einer Maske.
    Mein Rus fuhr vorbei - der 24er. Er bremste nicht mal ab. Nur ein flüchtiger Blick, und doch war mir gleich klar, wie müde die Leute im Wagen waren, einfach durch die Art, wie sie dort standen, leicht hin und her schwankend. Viele erkannte ich undeutlich. Normalerweise fuhr ich mit ihnen hin und zurück, von der Arbeit nach Hause, von zu Hause zur Arbeit, nur heute Abend nicht.
    Noch war es nicht richtig dunkel. Trotzdem waren jetzt weniger Autos unterwegs; wer mit dem Wagen zur Arbeit gefahren war, saß meist schon im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Ihr Mann allerdings nicht. Ich stand noch unter seinem Badezimmerfenster und beobachtete seine Frau, da kam er nach Hause. Ich hatte gleich so ein Gefühl, so einen Schreckensdruck in der Kehle, und duckte mich hinter einen Kaktus, als sein Auto auch schon in die Einfahrt bog, und in diesem Moment, das wußte ich, würde sein Blick über die Mauer gleiten, an der ich eben noch gestanden hatte. Der Wagen rollte die Einfahrt hoch und verschwand auf der andern Hausseite, und ich hörte, wie der Motor erstarb und seine letzten Geräusche im Abend verhallten.
    Die Frau war mit ihrer Dusche fertig. Gerade schloß sich die Tür hinter ihr. Da schien es, als gäbe es im ganzen Zimmer nichts als diese flache Tür.
    Und jetzt, da sie das Badezimmer verlassen hatte, war sie für mich verloren. Unmöglich, sie weiter zu beobachten, denn alle übrigen Fenster lagen um die Ecke und waren von der Straße aus gut zu sehen.
    Ich ging und wartete eine Dreiviertelstunde auf den Bus, den letzten an diesem Tag. Mittlerweile war es ziemlich dunkel geworden. Im Bus saß ich, mein Notizbuch auf den Knien, in einem sonderbaren, künstlichen Licht und arbeitete an meinem Infoblatt. «Wir haben auch
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