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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis
Autoren: Jesu’s Sohn
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Zimmer mit den Eheleuten, die nicht mehr wußten, wie der andere hieß.
    Ich verbrachte nicht sonderlich viel Zeit dort – zehn, zwölf Stunden pro Woche vielleicht Ich hatte anderes zu tun. Ich war auf der Suche nach einem richtigen Beruf, ich ging zu einer Gruppentherapie für Heroinsüchtige, ich meldete mich regelmäßig im Ortszentrum für Alkoholkranke, ich machte Wanderungen durch den Wüstenfrühling. Dennoch dachte ich an den kreisförmigen Flur des Beverly Home immer wie an den Ort, an den wir zwischen unseren Erdenleben zurückkehren, um uns mit anderen Seelen zu vermischen, den Ort, an dem wir warten müssen, bis wir geboren werden.
     
    Donnerstag abends ging ich meistens zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker im Keller einer Kirche, die der Episkopalgemeinde gehörte. Wir saßen im Kreis an Klapptischen und müssen ungefähr wie Leute ausgesehen haben, die in einem Sumpf feststecken – wir schlugen nach unsichtbaren Dingen, rutschten hin und her, wanden uns, kratzten uns, rieben uns Hals und Oberarme. «Ich bin nachts oft durch die Gegend gelaufen», sagte einer, ein Typ namens Chris (fast ein Freund, wir waren zusammen im Entzug gewesen), «total allein, total fertig. Seid ihr auch schon so rumgelaufen, an Häusern mit vorgezogenen Gardinen vorbei, und habt ihr dann auch so ein Gefühl gehabt, als würden euch eure Sünden wie Blei an den Füßen hängen, und habt ihr dann auch gedacht: Hinter den Fenstern, den Vorhängen da, leben Leute, die glücklich und zufrieden sind?» Das war natürlich leeres Gerede. Er sagte jedesmal etwas in dieser Art, wenn er bei unseren Treffen an der Reihe war.
    Trotzdem stand ich auf, ging nach draußen, blieb eine Weile vor der Kirche stehen und rauchte beschissene Light-Zigaretten, und vor lauter Ungesagtem drehte sich mir fast der Magen um. Dann wartete ich, bis das Treffen zu Ende war und ich jemanden bitten konnte, mich in der Nähe meiner Wohnung abzusetzen.
     
    Was die beiden Mennoniten anging, so konnte man mittlerweile nahezu davon sprechen, daß unsere Tagesabläufe im Gleichtakt waren. Ich verbrachte viel Zeit vor ihrem Haus – nach Sonnenuntergang, in der sich rasch abkühlenden Dunkelheit. Inzwischen war mir ein Fenster so recht wie das andere; Hauptsache, ich sah die beiden zusammen in ihrer Wohnung.
    Sie trug immer einen langen Rock, flache Lauf- oder Turnschuhe und feine weiße Söckchen. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt, obendrauf das weiße Käppchen. Wenn es nicht naß war, war es sehr blond, ihr Haar.
    Und mit der Zeit genoß ich den Anblick, wie sie dort in ihrem Wohnzimmer saßen, sich unterhielten, ohne sich zu unterhalten, die Bibel lasen, das Dankgebet sprachen und im Alkoven der Küche zu Abend aßen, genauso wie ich es genossen hatte, die Frau nackt unter der Dusche zu sehen.
    Wenn ich wartete, bis es richtig dunkel war, konnte ich mich, ohne daß man mich von der Straße aus bemerkte, direkt vor ihr Schlafzimmerfenster stellen. Mehrere Nächte blieb ich, bis sie eingeschlafen waren. Aber sie schliefen nie miteinander. Sie lagen da und berührten sich nicht mal – jedenfalls soweit ich es mitbekam. Ich nahm an, daß sich die Leute in solchen religiösen Gemeinschaften an eine Art Kalender oder so was halten mußten. Wie oft durften sie wohl miteinander schlafen? Einmal im Monat? Einmal im Jahr? Nur wenn sie Kinder haben wollten? Später fragte ich mich, ob vielleicht der Morgen ihre Zeit war, ob ich vielleicht besser morgens kommen sollte. Aber dann wäre es zu hell gewesen. Ich mußte sie also abpassen, solange sie noch mit offenen Fenstern schliefen und die Vorhänge nicht ganz zuzogen. Schon in Kürze würde es dafür zu heiß sein; dann würden sie die Klimaanlage anmachen und die Fenster schließen.
    Nach ungefähr einem Monat kam eine Nacht, in der ich die Frau schreien hörte. Nur Minuten zuvor hatten sie zusammen das Wohnzimmer verlassen. Daß sie sich in so kurzer Zeit ausgezogen haben sollten, war eigentlich ausgeschlossen; eben erst hatten sie ihre Bücher weggelegt und sich noch ruhig unterhalten, er zurückgelehnt auf dem Sofa, sie sehr aufrecht in einem Sessel. Da hatte er nicht gerade wie ein Liebhaber ausgesehen. Er hatte überhaupt nicht entflammt gewirkt, höchstens ein bißchen angespannt, wie er mit einer Hand an der Kante des Kaffeetischchens entlangfuhr und es, während sie sich unterhielten, leicht hin und her schob.
    Jetzt aber unterhielten sie sich nicht. Fast war es, als sänge sie, so wie ich sie oft gehört
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