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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis
Autoren: Jesu’s Sohn
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einem o-förmigen, türkisblauen Heim für ältere Menschen.
     
    Allerdings waren nicht alle Leute im Beverly Home alt und hilfsbedürftig. Einige waren jung, aber gelähmt. Andere waren erst mittleren Alters, aber schon völlig verwirrt. Wieder andere waren eigentlich in ganz annehmbarer Verfassung, nur daß man sie wegen ihrer unsäglichen Mißbildungen nicht auf die Straße lassen konnte. Wenn man sie sah, mußte man Gott für einen gefühllosen Irren halten. Ein Mann litt seit seiner Geburt an einer Knochenkrankheit, die ein Monstrum von zwei Meter zehn aus ihm gemacht hatte; sein Name war Robert. Jeden Tag zog Robert einen feinen Anzug oder eine Kombination aus Blazer und Hose an. Seine Hände waren fast einen halben Meter lang, sein Kopf eine fünfzig Pfund schwere Paranuß mit einem Gesicht drauf. Ihr und ich, wir wissen nichts von solchen Krankheiten, bis wir sie selber bekommen, und falls es irgendwann soweit sein sollte, werden auch wir von der Bildfläche verschwinden.
    Ich machte dort Teilzeitarbeit Ich war für das Info-Blatt verantwortlich, ein paar vervielfältigte Seiten, die zweimal im Monat herauskamen. Außerdem gehörte es zu meinem Job, die Leute zu berühren. Die Patienten hatten ja nichts zu tun, als sich herdengleich, zu Fuß oder im Rollstuhl, durch die weiten Korridore zu schieben. Verkehr nur in einer Richtung, so lautete die Vorschrift. Ich lief nun gegen den Strom, genau wie man’s mir aufgetragen hatte, grüßte alle und ergriff Hände oder drückte Schultern, denn was die Kranken brauchten, war, daß jemand sie berührte, und das geschah nicht gerade häufig. Jedesmal sagte ich «Guten Tag» zu einem grauhaarigen Mann Anfang Vierzig, kräftig und muskulös, aber völlig senil. Er packte mich dann am Hemd und rief Sachen wie: «So büßen wir für unsere Träume!» Ich legte meine Hand auf seine. Gleich neben uns fiel eine Frau fast vom Rollstuhl, die schrie: «Allmächtiger? Allmächtiger?» Ihre Füße zeig- ten nach links, ihr Kopf nach rechts, und ihre Arme wanden sich um den Körper wie Bänder um einen Maibaum. Ich fahr ihr mit den Händen durchs Haar. Und währenddessen schlurften all die Kranken an uns vorbei, Leute mit Augen wie Wolken und Leibern wie Kissen. Andere wieder sahen aus, als hätte man alles Fleisch aus ihnen herausgesaugt, und zwar mit den sonderbaren Geräten, die in den Wandschränken verwahrt wurden, irgendwelchen Hygienesachen. Die Leute waren nämlich fast alle schon so weit hinüber, daß sie nicht mehr alleine baden konnten, und deshalb wurden sie von Profis gebadet, anders ging’s nicht, und die benutzten dazu glänzende Schläuche mit hochraffinierten Spritzdüsen.
    Ein Mann hatte so was wie multiple Sklerose. Krumm und schief hing er im Rollstuhl, bezwungen von unablässigen Krämpfen, und stierte an der eignen Nase vorbei auf seine verknoteten Finger. Dieser Zustand war ganz plötzlich über ihn gekommen. Niemand besuchte ihn. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden. Er sei erst dreiunddreißig, hat er, glaube ich, gesagt, aber es war nur schwer zu verstehen, was er von sich erzählte, weil er genaugenommen gar nicht mehr reden konnte, bloß wieder und wieder die Lippen um die sich vorreckende Zunge spannte und ächzte.
    Für ihn war alle Verstellung vorbei! Er war uneingeschränkt und sichtlich fertig mit der Welt. Während wir andern uns weiter was vormachen.
    Jedesmal sah ich auch bei einem Mann namens Frank vorbei, der oberhalb von beiden Knien amputiert war; er begrüßte mich mit herrischer Traurigkeit und nickte in Richtung seiner leeren Pyjamabeine. Den heben langen Tag saß er im Bett und schaute fern. Er war aber nicht wegen seines körperlichen Zustands hier, sondern wegen seiner Traurigkeit.
    Das Beverly Home lag in einer Sackgasse am Ostrand von Phoenix, mit Blick auf die Wüste, die die Stadt umgibt Es war Frühling, und wie immer zu dieser Jahreszeit sprossen aus den Dornen gewisser Kaktusarten zierliche Blüten. Um den Bus nach Hause zu kriegen, ging ich jeden Tag über ein leeres Grundstück, und manchmal trat ich dort fast auf eine – eine kleine orangefarbene Blüte, die aussah, als wäre sie von der Andromeda herabgeschwebt, mitten hinein in einen Teil der Welt, der in elfhundert Brauntönen gehalten war, und unter einen Himmel, dessen Blau sich in den eignen Weiten zu verlieren schien. Mich schwindelte, ich war wie verzaubert – meine Überraschung wäre nicht größer gewesen, wenn ich plötzlich vor einem Kobold gestanden
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