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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis
Autoren: Jesu’s Sohn
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einen neuen Termin für die Bastelstunde», schrieb ich in holprigem Gekritzel, «nämlich Montag, 14 Uhr. Bei unserem letzten Projekt haben wir Tiere aus Salzteig gemacht Grace Wright hat einen tollen Snoopy gemacht und Clarence Lovell ein Kanonenboot. Andere haben Teiche, Schildkröten, Frösche, Marienkäfer und anderes mehr gemacht, alles im Miniaturformat.»
     
    Die erste Frau, mit der ich damals wieder richtig ausging, hatte ich beim «Antialkoholischen Tanzen» kennengelernt, einer geselligen Veranstaltung für rekonvaleszente Säufer und Drogensüchtige, Leute wie mich. Sie selber hatte solche Probleme nicht, aber ihr Mann hatte sie gehabt, bis er ihr – vor längerer Zeit schon – davongelaufen war. Seitdem legte sie hier und da ein Stündchen freiwilliger Sozialarbeit ein, und das, obwohl sie einen Achtstundenjob hatte und außerdem ihre kleine Tochter großzog. Irgendwann begannen wir, regelmäßig samstags auszugehen, und wir schliefen auch miteinander, und zwar in ihrer Wohnung, obwohl ich nie die ganze Nacht bis zum Frühstück blieb. Die Frau, von der ich rede, war ziemlich klein, nämlich ein gutes Stück unter 1,50 oder, wenn man’s genau nimmt, eher 1,40. Ihre Arme stimmten proportional nicht zu ihrem restlichen Körper oder wenigstens nicht zu ihrem Rumpf, obwohl sie zu ihren Beinen paßten, die ebenfalls stark verkürzt waren. Medizinisch gesehen war sie eine Zwergin. Aber das fiel einem nicht als erstes an ihr auf. Sie hatte große südländische Augen voll Schatten und Geheimnis und Unglück, und sie wußte, wie sie sich anziehen mußte, damit man nicht sofort merkte, daß sie eine Zwergin war. Wenn wir miteinander schliefen, waren wir gleich groß, eben weil ihr Rumpf normal war. Nur ihre Arme und Beine waren zu kurz geraten. Sie brachte ihre Tochter zu Bett, und dann schliefen wir auf dem Fußboden des Fernsehzimmers miteinander, und weil wir uns wegen unserer Jobs und ihrer täglichen Pflichten für das kleine Mädchen an eine Art Zeitplan halten mußten, Hefen dabei im Fernseher immer dieselben Spieleshows. Dämliche Shows. Samstagabendshows. Aber die Vorstellung, ich müßte mit ihr schlafen, ohne daß uns die Gespräche und das Gelächter aus jenem künstlichen Universum in den Ohren klängen, machte mir angst, denn ich wollte sie nicht zu gut kennenlernen, wollte nicht, daß wir uns mit Blicken über Momente des Schweigens hinweghalfen.
    Vorher gingen wir meistens in ein mexikanisches Lokal zum Essen – in eins der schicken, mit Wänden aus Lehmziegeln und mit Samtzeichnungen, die zu Hause bloß billig gewirkt hätten – und besprachen die Vorkommnisse der Woche. Ich berichtete ihr ausführlich von meinem Job im Beverly Home: daß ich dabei war, ein neues Leben zu beginnen. Daß ich versuchte, bei der Arbeit nicht mehr aus der Reihe zu tanzen. Daß ich nicht mehr stahl. Daß ich mich bemühte, meine Aufgaben zu Ende zu bringen. Und so weiter. Sie arbeitete am Ticketcounter einer Fluglinie, und ich denke mal, sie stellte sich zur Abwicklung ihrer Geschäfte auf eine Kiste. Dennoch, ihre Seele verstand mich. Bei ihr fiel es mir nicht schwer, der zu sein, der ich war, mehr oder weniger jedenfalls, eine Sache natürlich ausgenommen.
     
    Dann war der Frühling in vollem Gang, und die Tage wurden länger. Ich ließ den Bus häufig sausen, um die Frau in der Wohnung zu beobachten.
    Wie konnte ich das bloß tun? Wie kann ein Mensch bloß so herunterkommen? Und obwohl ich begreife, daß ihr mich das fragt, kann meine Antwort nur lauten: Macht ihr Witze? Das ist doch gar nichts. Ich war schon viel weiter unten gewesen. Und ich traute mir noch viel schlimmere Sachen zu.
    All das wurde nun ein fester Bestandteil meines Lebens: warten und zusehen, wie sie duschte, zusehen, wie sie nackt aus der Dusche kam, sich abtrocknete und das Badezimmer verließ, und dann die Geräusche hören, die ihr Mann machte, wenn er mit dem Wagen von der Arbeit kam und durch die Tür ins Haus ging. Es war immer dasselbe. Ob auch am Wochenende, weiß ich nicht, weil ich da nicht zur Arbeit ging. Aber ich glaub ohnehin nicht, daß der Bus am Wochenende zu den gleichen Zeiten fuhr.
    Manchmal sah ich sie und manchmal nicht Nie tat sie etwas, was ihr hätte peinlich sein müssen, und auch von ihren Geheimnissen kriegte ich nichts mit, obwohl ich gern mehr darüber erfahren hätte, zumal sie mich ja nicht kannte. Wahrscheinlich hätte sie sich nicht mal im Traum vorstellen können, daß ich die ganze Zeit da
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