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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
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und bei Clean Impact unter Vertrag. Abgaben und Steuern wurden so aus den Fördertöpfen für strukturschwache Kreise in den einzelnen Gemeinden, wo die jeweiligen Objekte, die Clean Impact bearbeitete, angesiedelt waren, direkt fällig, für die Einzelunternehmer selbst wiederum umgekehrt als nebenabzugsfähig gegenzurechnen und damit vorsteuerfrei zu buchen usw. Natürlich machte sich Poggart keine Illusionen über die Zuverlässigkeit der Putzleute, die bei ihm arbeiteten. Nach seinen Erfahrungen als Chef galt auch hier, Daumen mal pi, die Drittelregel: ein Drittel Betrüger, Halunken und Hallodris, ein Drittel Anständige, Nette und Bemühte, und das dritte Drittel Schwankende, die verführbar waren durch günstige Gelegenheiten. Man musste die Leute deshalb, das war Poggarts konsequenzialethische Philosophie als Chef, auf eine ordentliche, übersichtliche, für die Leute vorhersehbare, im Konkreten aber überraschende Art mit Überwachung bedrohen, um sie beherrschen und führen zu können. Diesem Auftrag kam er durch seine Besuche in den Objekten, wo geputzt wurde, nach, und wie er jetzt zu Henze meinte: »ganz gut gelaufen heute«, konnte Henze durch den dichten Vollbart Poggarts hindurch die mit diesem Satz eventuell verbundene Aussageabsicht, die ihre morgendliche Begegnung in Sprißlers Eckbüro betraf, und deren möglichen Hintersinn nicht erkennen, weshalb er, von dieser Undurchsichtigkeit gestresst, nur langsam nicken und »ja« sagen konnte, ohne Poggart sagen zu können, was er immer schon einmal machen wollte, dass er gerne bei ihm arbeitete.
    Dann verabschiedete sich Henze und ging an den Kollegen, die auf dem Gang bei den Spinden standen, vorbei nach draußen, setzte sich in sein Auto und machte sich auf den Heimweg, wieder zurück nach Krölpa. Er fuhr die Strecke ohne Eile. Erst kamen Bäume, dann leere Flächen, dann ein kleiner Wald, der sich auf eine Senke hin öffnete, dahinter eine Gerade und zuletzt die ersten Häuser von Krölpa, hier, in der Glasheimersiedlung am alten Ortsrand bei den Kalksteinbrüchen, war Henze in einer Baracke, die es bis vor wenigen Jahren noch gegeben hatte, aufgewachsen. Die Fahrt zwischen den Ortschaften war ohne besondere Vorkommnisse geblieben und unbemerkt, als Moment der Seele, durch Henze hindurchgegangen, er fuhr in den Ort hinein, bei der Bäckerei rechts ab richtung Unstrut, über die Brücke, beim Kiosk nocheinmal rechts, dreihundert Meter, dann war er da: Ortsteil Lauchhammer, früher eine Ansammlung einfacher Datschen, heute waren die Häuser teils hergerichtet, teils so gelassen worden, wiesie immer schon gewesen waren, gebückt und abgeschabt, Orte, wo das Unglück genauso zuhause gewesen sein konnte wie Ruhe und Glück. Ein solches Zuhause war das Haus seiner Kindheit für Henze bis zum Tod seiner Mutter gewesen, danach war das Haus geschrumpft, ein entfernter Cousin aus dem Westen hatte Rechte reklamiert und bekommen, aus der Hauptwohnung, 70 qm, hatte Henze ausziehen müssen, im seitlichen Teil, 40 qm, sich eine Parzelle für Küche und Dusche abgetrennt, vom Zimmer aus eine Türe direkt in den Garten hinaus durchgebrochen, Gartenbenützung gemeinsam mit den Untermietern der Mieter des Cousins. Die Sachen der Mutter hatte er auf den dafür eigens ausgebauten Dachboden verbracht. Bei seinen eigenen Sachen, die sich in den letzten Jahren der Arbeitslosigkeit stetig vermehrt hatten, war Henze immer noch am Räumen und Aufräumen, deswegen waren diejenigen Tage gute Tage in Henzes jetzigem Leben, an denen er keinen Anruf von der Reinigungsfirma bekam, weil er dann nachts nicht zum Putzen gehen musste, sondern bei sich zuhause aufräumen konnte.
    Henze stopte den Wagen vor dem Grundstück Am Steinanger 10 , hatte zwei Eisengitter, die er vor ein paar Tagen auf einem Parkplatz mitgenommen und im Auto verstaut hatte, ausgeladen, das Auto weiter zu der Garagenanlage am Ende der nächsten Querstraße gefahren, wo er eine Garage gemietet hatte, und das Auto dort abgestellt. Auf dem Rückweg zum Haus, vorbei an einigen Sträuchern, bemerkte er ein Geräusch, Knacken von Holz, dann einen tierhaften Ton, einen Schrei, eine Stimme, die er keinem der Tiere aus der Nachbarschaft zuordnen konnte, ging aber weiter, ohne stehenzubleiben. Er war in anderen, von ihm selbst nicht festgehaltenen Gedanken, ein von Google Mind ausgelesenes Atomelektroenzephalogramm wüsste, in welchen genau. Er öffnete das Gartentor, brachte die Eisengitter hinter das Haus zu seiner Türe,
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