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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Autoren: Rainald Goetz
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Bundeswehr hatte er an der Hochschule für Betriebswirtschaftslehre in Speyer, die im Bereich Marketing einen exzellenten Ruf hatte, das Studium aufgenommen, mit dem schönen Berufsziel: Professor. Bald nach Beginn des Studiums hatten dann aber die vielen Kontakte mit Menschen aus der Welt der Wirtschaft, auch mit Kommilitonen, die jünger waren als er selbst, diesen Berufswunsch verändert. Vielleicht könnte er doch anders Karriere machen, weder in der väterlichen Klein- und Loserfirma, aber auch nicht unbedingt an der Universität, sondern direkt als Praktiker und Unternehmer, so stand es Holtrop immer deutlicher vor Augen, Karriere etwa als Konzernchef eines Daxkonzerns, und er würde dabei täglich mehr bewegen als nur Papier, Ideen und Konzepte, wie es in den Arbeitszimmernder Wissenschaft auch bei den tollsten Professoren der meist ziemlich wenig glamouröse Normalfall war.
    Nicht ohne sich die Türe zur Universitätslaufbahn durch ein Promotionsstipendium, dann durch eine Assistentenstelle noch eine Zeitlang offen zu halten, hatte Holtrop schließlich doch mit ganzer Kraft die CEO -Karriere angesteuert, zwar spät, aber umso zielstrebiger die üblichen Stationen durchlaufen: zwei schnelle Jahre war er als Jungsöldner Berater bei Deloitte, Effektivität und Abstraktion pur, im Dienst der Praxis, das Gegenteil zur Universität, eine faszinierende, grausame, auch lächerliche Lehrzeit, auf die Kälte der Überlegenheit reiner Wirtschaftsrationalität zugespitzt. So bald wie möglich nahm er den Sprung ins operative Geschäft. Holtrop wurde Vorstandsassistent beim Maschinenbauer Voith, wechselte dann in gleicher Position, wobei er im Schwäbischen verblieb, zu Holtzbrinck und von dort, schon zwei Jahre später, aber für das doppelte Gehalt, schließlich zur Assperg AG nach Schönhausen, wo er in der Asspergfirma Druckmaschinen, dem biedersten, aber renditestärksten Unternehmensbereich, Assistent des Vorstands wurde. Mit der Wende beschleunigte sich der Aufschwung der Wirtschaft und mit ihm Holtrops Karriere. Ende 1989 wurde ihm die Sanierung der von Assperg gekauften Westberliner Großdruckerei Dablonskidruck als Geschäftsführer übertragen, das lief gut. Schon ein Jahr später wurde Holtrop vom damaligen Asspergchef Brosse zurück nach Schönhausen in die Hauptverwaltung berufen, um als Leiter von dessen Büro die Reform des Vorstands zu koordinieren.
    Während dieser Jahre seines Berufsanfangs hatte sich auch Holtrop in das überall herrschende System der alle einenden Verachtung hineingelebt und damit arrangiert, Kollegen, die Verachtung auf sich ziehen mussten, ganz zu Recht, gab es schließlich überall. Zugleich aber hatte er gegenüber der Verachtung als Prinzip von Führung innerlich Distanz gewonnen in dem, wie er nicht wusste, verboten naiven Glauben an die höchst besondere Andersartigkeit seiner selbst. So wie er in der Beobachtung seines Vaters geglaubt hatte, er werde alle Fehler, die der machte, vermeiden und alles besser machen als der Vater, ging es ihm später mit jedem Vorgesetzten. Er übernahm per Nachahmung, was er gut fand, identifizierte die Defizite, die er vermeiden wollte, und glaubte, er würde jetzt, weil er alles erkannt hatte, die Fehler vermeiden und alles richtig machen können. Holtrop glaubte einschränkungslos an die Freiheit seines selbstbestimmten Handelns. Und die strukturelle Kaputtheit des Systems der Verachtung erzeugte bei ihm vorallem den Überlegenheitsgedanken: gut, dass ich weiß, dass alle so kaputt sind, denn dann kann ich davon profitieren.
    Der Erfolg bestätigte Holtrop, anfangs zu seinem eigenen Erstaunen. Bald war er daran gewöhnt. So machte er Karriere, hell und brillant, wie er im Auftreten war, die optimierte Summe aller, eines jeden, der ihm gerade gegenüberstand, so hatte er seinen Aufstieg in der Firma gemacht und genauso heute Abend, beim Festbankett zu Ehren des achtzigsten Geburtstags von Asspergs Altpatriarchen Berthold Assperg, aus dem dekorierten Festsaal der Schönhausener Stadthalle seinen Abgang wieder einmal zum genau richtigen Zeitpunkt genommen, früh, aber nicht zu früh, dafür blitzartig schnell. Da lag er auch schon im Bett, kurz nach halb zwölf, und war auch schon, letzter Gedanke: diese hocheffiziente Präzisionsmaschine, die Führung auswirft, ICH , eingeschlafen auf der Stelle, wie gewünscht.

IV
    Das Medienhaus Assperg, die Assperg Medien AG , hatte in den vergangenen Jahren einen ebenso fulminanten Aufstieg hingelegt wie
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