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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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Halsschmerzen.« Samuel legte ihm die Hand auf die Stirn.
    »Du hast wahrscheinlich ein bisschen Fieber«, sagte er. »Am besten, du bleibst heute zu Hause.«
    Genau das hatte Joel hören wollen. Er war wirklich krank. Wie oft war er schon morgens erwacht und hatte sich gewünscht krank zu sein. Tage, an denen er nicht in die Schule gehen mochte. Aber da hatte er natürlich nicht das kleinste bisschen an sich finden können, sosehr er seinen Körper auch abgetastet und gequetscht hatte. »Kommst du allein zurecht?«, fragte Samuel.
    Joel überlegte kurz, was Samuel getan hätte, wenn er mit Nein geantwortet hätte. Wäre Samuel zu Hause geblieben? Das konnte er nicht. Samuel verdiente nicht viel Geld. Sie konnten es sich nicht leisten, dass er auch nur einen einzigen Tag seiner Arbeit fernblieb.
    »Ich komm gut zurecht«, sagte Joel. »Außerdem bin ich ja nur ein bisschen krank.«
    »Wickle dir was um den Hals«, sagte Samuel. »Und ich glaub, wir breiten das Katzenfell über deine Füße.«
    Joel lächelte. Es gab kein Katzenfell, nur einen kleinen arabischen Teppich, den Samuel vor langer Zeit in einem Hafen am Mittelmeer gekauft hatte. Der Teppich war nicht größer als eine Fußmatte. Aber als Joel klein gewesen war, hatte Samuel erzählt, der Teppich besitze magische Kräfte. Legte man ihn über die Füße, wenn man krank war, würde man sofort wieder gesund. In den ersten Jahren hatte Joel daran geglaubt, jetzt nicht mehr.
    Aber trotzdem gefiel es ihm, dass Samuel den kleinen Teppich holte und ihn auf dem Fußende des Bettes ausbreitete. Auch wenn er keine magischen Kräfte hatte, so wärmte er doch.
    »Trink viel Wasser«, sagte Samuel. »Möchtest du, dass ich das Rollo hochziehe?«
    Das wollte Joel. Das Rollo schoss in die Höhe.
    Dann ging Samuel.
    Joel lag da und lauschte auf die Stille. Nichts war so laut wie ein stilles Zimmer. Es knackte in den Wänden und rauschte in den Wasserrohren.
    Er schluckte einige Male probeweise. Es tat weh. Aber nicht sehr.
    Er dachte an das, was in der Nacht geschehen war. An die Neujahrsgelübde, die er abgelegt hatte, bezeugt von all den Toten.
    Dass er seinen Handschuh genau vor Lars Olssons Grabstein verloren hatte, bedeutete nichts. Wenn auch Lars Olsson mit vierzehn Jahren gestorben war, so hieß Joel doch Joel und nicht Lars Olsson. Joel hatte ein feierliches Versprechen abgelegt, dass er sich abhärten und hundert Jahre alt werden wollte. 2045 sollte einmal auf seinem Grabstein stehen.
    Joel dachte, dass viele es für ein kindisches Versprechen halten würden. Viele, die nichts verstanden.
    Vielleicht bin ich kindisch, dachte Joel. Aber ich weiß nicht, wie man sich benimmt, wie man sich verhalten müsste, um nicht kindisch zu sein.
    Er ging in die Küche und goss sich ein Glas Wasser ein. Das stellte er neben den Wecker. Bald würde die erste Stunde beginnen.
    Da fiel es ihm ein. Die Orgel! Die hatte er ganz vergessen. Sofort bekam er Bauchschmerzen. Wenn Frau Nederström auf die Pedale trat und kein Laut herauskam, dann würde sie denken, Joel habe es getan. Joel Gustafsson, der nicht an seinem Platz saß.
    Verflixt!, dachte Joel. Warum müsste ich ausgerechnet heute krank werden?
    Dann versuchte er ganz ruhig zu denken. Er hatte keine Spuren hinterlassen. Niemand konnte ahnen, dass er es gewesen war. Der Blasebalg neben den Pedalen könnte sich von selbst gelöst haben.
    Er merkte, wie müde er war. Außerdem war es wohl, wie Samuel gesagt hatte. Er hatte ein wenig Fieber. Er zog sich die Decke bis zum Kinn und rollte sich zusammen. Bald schlief er.
    Als er aufwachte, war es schon zehn. Er schluckte. Es tat immer noch weh. Aber er fühlte sich trotzdem besser. Ihm war nicht mehr so heiß. Vielleicht hatte ihm der Teppich am Fußende doch geholfen? Man konnte ja nie sicher sein bei den Sachen, die Seeleute an geheimnisvollen Orten in fremden Häfen kauften.
    Joel richtete sich auf, leerte das Wasserglas und merkte, dass er immer noch keinen Hunger hatte. Aber jetzt wollte er nicht mehr schlafen. Er schob sich das Kissen in den Rücken und begann nachzudenken. Oder war es so, dass er eigentlich träumte? Oft wusste er selbst nicht genau, wo der Unterschied war. Die Gedanken und Träume kamen von derselben Stelle. Irgendwo von innen, aus dem unterirdischen Höhlensystem tief unten im Kopf. Denken war schwerer als träumen. Beim Denken musste man sich anstrengen. Mit Träumen war es umgekehrt. Das ging nicht, wenn man sich anstrengte. Im Augenblick wünschte er, die
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