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Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Autoren: Henning Mankell
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das Fenster ab.
    Das Papier war noch da. Niemand hatte bemerkt, dass die Haken gelöst waren.
    Plötzlich zuckte er zusammen und drehte sich um. Er glaubte etwas hinter sich gehört zu haben. Aber da war nichts. Nur Stille.
    Er öffnete das Fenster und schwang sich auf das Fenstersims. Er musste sich anstrengen, sosehr er konnte, um hinaufzugelangen und hineinzuklettern.
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich in der Nacht in der Schule aufzuhalten. Das Licht der Straßenlaternen fiel auf die leeren Bänke und verbreitete einen gespenstischen Schein. Im Raum hing immer noch ein Geruch nach feuchten Kleidern.
    Er setzte sich auf seinen Platz. Hob die Hand. Dann ging er zum Katheder. Da stolperte er über eine vergessene Schultasche. Es dröhnte in der Stille. Er blieb stehen und hielt den Atem an. Aber da war niemand, der ihn hören könnte. Alle schliefen. Außer dem ruhelosen Geist, der Joel Gustafsson hieß.
    Dann setzte er sich an den Katheder von Frau Nederström. Vor ihm waren die Schulbänke. Er guckte zu seinem Platz. »Joel Gustafsson hat wie üblich nicht zugehört, was ihm gesagt wurde«, sagte er mit einer Stimme, die gerade laut genug war.
    Dann erhob er sich und ging zurück zu seiner Bank. Setzte sich und stand auf.
    »Frau Nederström kann sich aufs Scheißhausdach setzen und nie wieder runterkommen«, antwortete er.
    Plötzlich kriegte er Bedenken. Vielleicht konnte ihn trotz allem jemand hören? Oder irgendwo lief ein geheimes Tonbandgerät?
    Außerdem war die Zeit fast vorbei. Es war schon mindestens Viertel vor zwölf. Jetzt hatte er nur noch fünfzehn Minuten. Er ging zur Orgel, die links vom Katheder stand. Er kauerte sich hin und suchte mit der einen Hand bei den Pedalen, bis er den Blasebalg gefunden hatte. Dann löste er ihn auf der Rückseite und drückte die Pedale wieder herunter. Es kam keine Luft.
    Wenn Frau Nederström morgen zu treten begann und die Klasse den Morgenchoral singen sollte, würde kein Laut hervorkommen. Und sie würde nicht herauskriegen, was passiert war. Niemand würde das verstehen. Außer Joel. Er kroch wieder zum Fenster hinaus. Steckte das zusammengefaltete Papier wieder an seinen Platz und schob das Fenster zu. Es quietschte leise.
    Im selben Augenblick hörte er die Kirchenglocken. Drei Schläge. Viertel vor zwölf. Eine Viertelstunde vor Mitternacht. Fast wäre es schief gegangen. Aber er hatte es geschafft.
    Das Neujahrsgelübde des letzten Jahres war eingelöst. Jetzt konnte er an neue denken.
    Den Rucksack hatte er gegen die Wand gelehnt. Er hängte ihn sich wieder über die Schultern, verteilte den Schnee vor dem Fenster, sodass seine Fußspuren verschwanden, und lief davon.
    Es war fünf Minuten vor zwölf. Gleich war es so weit. Das Zifferblatt oben im Turm leuchtete. Joel war vor dem schwarzen Eisentor stehen geblieben, das zum Friedhof führte. Er schauderte und merkte, dass er Magenschmerzen hatte.
    Er war noch nie mitten in der Nacht auf dem Friedhof gewesen. Obwohl er nachts oft mit dem Fahrrad unterwegs war. Doch jetzt sollte es geschehen. Das war auch ein Neujahrsgelübde vom letzten Jahr: In der nächsten Silvesternacht würde er seine neuen Gelübde auf dem Friedhof ablegen. Er würde durchs Tor gehen und beweisen, dass er nicht vor Schreck starb.
    Er merkte, dass ihn fror. Verstand plötzlich nicht mehr, warum er sich gelobt hatte, was ihm jetzt bevorstand. Aber einen Weg zurück gab es nicht. Er musste zu den Gräbern, die im Licht des Mondes leuchteten.
    Mit Knoblauch konnte man sich Vampire vom Leib halten. Aber ihm war keine Medizin bekannt, mit der man sich schützen konnte, wenn man einen nächtlichen Besuch auf dem Friedhof machte. Sicherheitshalber hatte Joel eine ganz gewöhnliche Zwiebel in den Rucksack gesteckt.
    Außerdem hatte er ein paar Kartoffeln mitgenommen. Eine rohe und eine gekochte. Samuel pflegte zu sagen, ohne Kartoffeln seien die Menschen nicht am Leben zu erhalten. Vielleicht bedeutete das, dass auch Kartoffeln magische Kräfte enthielten ?
    Er sah zum Zifferblatt hinauf. Noch vier Minuten bis Mitternacht. Er konnte nicht länger warten. Er packte die Pforte und schob sie auf. Das Kreischen schnitt in seine Ohren. Hoffentlich werden die Toten jetzt nicht wach, dachte er besorgt.
    Dann überlegte er es sich anders. Tote erwachen nicht. Wenn man tot ist, ist man tot. Alles andere ist nur Einbildung. Er betrat den Friedhof. Ein Schritt, dann noch einer. Links stand ein Grabstein über einem alten Pfarrer. Gestorben 1783. Das
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