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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy
Autoren: Mark O'Sullivan
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paar Stufen von der offenen Tür entfernt beginnt Sean, laut zu singen.
    »Jimmy, Jimmy!«
    Er imitiert das Da-na-na-na-na eines Gitarrenriffs und singt weiter.
    »Jimmy, Jimmy!«
    »Sean?« Ich höre das Zittern in Mams Stimme, und mir rutscht der Magen in die Kniekehlen.
    Dann stehen wir in seinem Zimmer. Jimmy starrt Sean mit großen Augen an, großen Augen, in denen Überraschung steht und Angst. Mam durchbohrt Sean mit einem Blick wie eine Dolchklinge, aber er merkt es nicht. Er geht auf Jimmy zu und schlingt die Arme um ihn.
    »Jimmy, Jimmy!«, singt er mit geschlossenen Augen.
    Es sieht aus, als würde Jimmy Sean stützen, obwohl er selbst kurz davor ist, in Panik zu geraten. Ich lächle ihn an, als wäre das, was hier abgeht, vollkommen normal und nichts, wovor er Angst haben müsste. Dann entlässt ihn Sean aus der Bärenumklammerung und sagt: »He, warum spielen wir nicht eine Runde Premiership , Jimmy?«
    »Ja«, sagt Jimmy. Und dann: » Premiership? «
    »Fußball, Jimmy, erinnerst du dich?«, sagt Sean. Dann erst fällt ihm ein, dass wir Dad nicht fragen sollen, ob er sich an irgendwas erinnert, weil ihn das nur verunsichert. »Es ist ein neues Spiel, ich zeig dir, wie man’s spielt. Ich wette, dass du mich mal wieder fertigmachst.«
    Jimmy gluckst. Er hat einen Kumpel gefunden.
    » Ein Spiel, okay?«, sagt Mam mit einem Gesicht, als wäre es eine Porzellanmaske, die jeden Augenblick zu Staub, Sand oder was weiß ich zerfallen kann. »Es ist schon spät.«
    Wir lassen sie spielen, aber ich glaube nicht an diesen neuen Sean, so wenig wie Mam. Die Zeit, die wir bis nach oben brauchen, kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Wir haben überall zusätzliche Geländer an die Wände montieren lassen, um Dad das Treppensteigen zu erleichtern. Jetzt sind wir es, die ein zusätzliches Geländer brauchen.
    »Ich kann’s nicht glauben, dass Sean sich ausgerechnet heute Abend hat volllaufen lassen«, sage ich.
    »Es wird ihm noch leidtun«, sagt Mam.
    Sie zittert und hält sich mit beiden Händen am Geländer auf der Wandseite fest. Dabei drückt sie die Stirn gegen die Holztäfelung, dass es wehtun muss.
    »Wenigstens hat er Jimmy aufgeheitert«, sagt sie. »Das ist mehr, als ich bisher geschafft habe.«
    Sie lässt das Geländer los und atmet tief ein.
    »Wir schaffen das, Eala. Wir müssen es schaffen.«
    Unten lachen sich Sean und Jimmy scheckig. Und ich bin so bescheuert eifersüchtig auf Sean, dass ich mich frage, ob ich es nicht auch mit Cider hätte probieren sollen.

5
    Als Dad noch zweiundvierzig war, hatte er viele Freunde. Seine Fußballkumpel und Leute, mit denen er sich über die Arbeit angefreundet hatte. Fast alles Männer, und manchmal frage ich mich, ob das der Grund ist, dass sie, von einem abgesehen, alle während seiner Zeit im Krankenhaus und in der Reha verschwunden sind. Vielleicht täten sich Männer leichter, wenn man in Krankenhäusern Bier ausschenken würde, meinte Mam dazu. Weil man sich hinter Kneipengequatsche besser verstecken kann als bei Gesprächen am Krankenbett.
    Es waren vielleicht zehn von ihnen, die ihn sehen wollten. Ein paar davon schafften es noch ein zweites Mal, und die wenigen, die ein bisschen länger durchhielten, ließen sich irgendwann auch nicht mehr blicken. Ich habe ein paar dieser Besuche miterlebt. Es war eine einzige Quälerei. Für alle Beteiligten.
    Die Stimme eines seiner Kumpel überschlug sich, als er Dad sah, und als er aus dem Zimmer war, brach er zusammen. Pat Dillon, ein großer, breitschultriger Bauarbeiter mit muskelbepackten Armen, dachte wahrscheinlich, dass er ganz normal spricht, aber aus seinem Mund kam ein Flüstern, das keiner von uns verstand. Diejenigen, die wenigstens sprechen konnten, redeten über Fußball, undwenn es nicht funktionierte, wie meistens, wussten sie nicht weiter. Dass Dad so viel vergessen hatte, was sie ihm hätten erzählen können, half nicht. Fußball überhaupt war ihm plötzlich ein Buch mit sieben Siegeln. Er konnte sich nicht mal an die Namen der berühmten Spieler erinnern. Nicht mal an seinen Helden, Zinédine Zidane.
    »Wenn es meine Hemden sind«, fragte er uns, als er noch nicht lange in der Reha war, »warum steht dann sein Name drauf?«
    Die Namen der Clubs wusste er auch nicht mehr. Real Madrid, Liverpool, Man U, wichtige Spiele, wer wann was gewonnen hatte, die Spielsysteme, 4-4-2, 4-3-3 oder was auch immer – nichts sagte ihm mehr was. Aber das eigentliche Problem mit den Besuchen seiner alten Freunde lag
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