Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst
Autoren: Robert Seethaler
Vom Netzwerk:
Boden. Das Zeug wurde in einer Tonschale eingeweicht, mit einem Mörser zermanscht und dann als dicke, hellgrüne Paste überall auf meinem
Körper verschmiert. Ich stank wie ein Komposthaufen, aber bald gewöhnte ich mich daran. Und irgendwann hatte sich das Ganze sowieso erledigt und ich hatte mich zu einem einigermaßen
ansehnlichen Jungen ausgeformt.
    Vater jedenfalls hatte Freude an den Kräutern. Er wäre gerne Naturwissenschaftler geworden. Oder Pflanzenkundler. Oder wenigstens Apotheker. Das Schicksal in Gestalt seiner
kriegsmüden Eltern hatte allerdings etwas anderes für ihn vorgesehen. Er wurde Friseur.
    An der Vorderseite unseres Hauses, zur Straße hin, lag der Friseursalon. Auf einem Blechschild über der Eingangstür stand in großen mattgoldenen Buchstaben das Wort Coiffeur hingepinselt. Und darunter: Frisuren für die Dame und den Herren .
    Sechs Tage in der Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr, ohne Krankheitsunterbrechung, ohne Urlaubspausen, standen Vater und Mutter in dem kleinen Laden und bedienten die Kunden. Die
Arbeitsteilung war einfach: Vater schnitt, Mutter wusch.
    Eine Ecke war für mich reserviert. Dort saß ich auf einer flauschigen Wolldecke und konnte ungestört die Vorgänge im Salon verfolgen. Mutters ruhige, sanfte Bewegungen.
Vaters wendige Handgriffe. Das Aufblitzen der von einem verirrten Sonnenstrahl getroffenen Rasierklinge. Das bunte Gewackel der Lockenwickler auf den Kundenköpfen und so weiter. Ich mochte
das. Alles war so selbstverständlich, gleichzeitig schien es jedoch einer geheimen Ordnung unterworfen zu sein, jede Bewegung schien mit den anderen Bewegungen im Raum zusammenzuhängen,
sie zu beeinflussen und überhaupt erst zu ermöglichen.
    Aber noch lieber hatte ich die Geräusche. Das Klappern der Schere, das helle Rauschen der Trockenhaube, das sonore Summen des Rasierapparats, das angriffslustige Fauchen des Föhns, das
ruhige Plätschern des warmen Wassers, das Geplauder der Damen, das Schnarchen der Herren, all das sammelte sich zu einem beständigen, nie abreißenden Geräuschteppich, der
über allem schwebte und quasi den Soundtrack meiner frühen Kindheit bildete. Ich saß still und zufrieden in meiner Ecke und hörte zu, wie die Jahre vergingen.

BUMSEN MIT TRIXIE
    Es war ein brütend heißer Sommersonntag. Der Himmel schien ungewöhnlich hell, fast weiß. Keine Wolke. Kein Wind. Hoch oben zitterte die Sonne in ihrer
eigenen Hitze. Meine Eltern hatten mich mit einer großen Tüte Karamellbonbons in den Garten geschickt und sich aus irgendwelchen Gründen ins Schlafzimmer verzogen.
    Da stand ich jetzt, nur mit einer winzigen roten Badehose bekleidet, die Tüte mit den Bonbons in der Hand, einen ganzen leeren Nachmittag vor mir und tausend schwirrende Fragen in meinem
dummen Bubenkopf.
    Der Garten summte. Ein gelber Schmetterling torkelte vorüber, landete auf einem Halm, torkelte weiter, verschwand hinter dem Haus. Ich schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.
Plötzlich begann es mich zu schütteln. Das Glück hatte mich gepackt und rüttelte mich nun ordentlich durch. Ich lachte, schrie auf und schmiss die Arme in die Höhe. Die
Karamellbonbons flitzten aus der Tüte und segelten wie kleine braune Meteore durch die Luft. Ich ließ mich nach hinten fallen und blieb auf dem Rücken liegen. Das Gras war trocken
und warm. Darunter pulsierte die Erde, hob und senkte sich wie der Rücken eines großen Tieres.
    Aus dem Schlafzimmer der Eltern drangen ein dumpfes Poltern und das überdrehte Kichern meiner Mutter. Ein einzelner Schweißtropfen löste sich von meiner Schläfe, kullerte
hinters Ohr und verfing sich irgendwo im Haaransatz. Meine Stirn brannte unter der Sonne. Der Himmel strahlte in seiner ungewöhnlichen Helligkeit. Ich sprang auf, sammelte die verstreuten
Bonbons ein und rannte quer über die Rasenfläche, am Kirschbaum vorbei, und zu der hohen Hecke hinüber, die unser Grundstück von der Nachbarschaft abschottete. Ich bog ein paar
Äste zur Seite und kroch ins Gebüsch.
    Drinnen war es angenehm kühl. Durch das dichte Blätterdach drang nur wenig Sonnenlicht herein. Ich hockte mich in meine Kuhle und ruckelte mir den Hintern zurecht. Dieser Platz war
mein Rückzugsgebiet, mein ganz privater Schutzraum.
    Ein winziger, dunkelgrün glänzender Käfer krabbelte träge über meinen Handrücken. Ich beobachtete ihn eine Weile, dann schnippte ich ihn ins Dickicht und steckte
mir ein Karamell in den Mund.
    Drüben auf dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher