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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst
Autoren: Robert Seethaler
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stellte dumme Fragen.
    Aber jetzt war er nun mal da und die Kinder auch, und es konnte mit der Geschichte losgehen. Es gab nämlich ein Problem: Eigentlich wollte Kasperl mit seinen Kumpeln Eichhorn und Frosch ein
Picknick veranstalten, doch der Picknickkorb war weg. Einfach verschwunden. Und natürlich hatte Kasperl dazu eine eigene Theorie entwickelt: Ein Zauberer sollte hinter der Angelegenheit
stecken. Und zwar nicht irgendein Zauberer, sondern der größte, gemeinste und hässlichste Zauberer der ganzen Gegend!
    Ein Raunen durchlief die Sitzreihen. Eine Welle der Empörung. Entsetzen. Wut.
    Kasperl hatte natürlich gleich einen Plan. Schnell wurde aus ein paar Blättern und Ästen ein zweiter Picknickkorb gebastelt und danach mit Hilfe des Hauruck-Gebrülls des
Publikums eine Grube im Waldboden ausgehoben. Mit einem Seil wurde der Korb hinuntergelassen, die Grube wurde abgedeckt, die Falle war fertig, alle freuten sich, Kasperl klatschte in die
fingerlosen Hände, Eichhorn und Frosch machten groteske Sprünge, und es wurde ein Lied gesungen.
    Die Drei waren so beschäftigt mit ihrer blödsinnigen Freude, dass sie nicht bemerkten, wie sich im Hintergrund ein paar Zweige teilten und den Blick auf einen grauge-sichtigen alten
Knacker freigaben.
    Der Saal brüllte wie aus einer Kehle. Die Kinder sprangen aus ihren Sitzen hoch, trampelten, klatschten und schrien. Mir war nicht klar, warum dieser Zauberer so schlecht ankam. Alles in
allem schien er recht harmlos zu sein. Gar nicht unsympathisch. Er war dürr, stand etwas verloren in der Gegend herum und hatte einen ziemlich depressiven Gesichtsausdruck. Unter seinem mit
silbrigen Sternen bestickten Hut quollen graue Haare hervor, die ihm in langen Strähnen über die Schultern flossen und einen ordentlichen Haarschnitt gut hätten gebrauchen
können.
    Er beobachtete die drei Idioten für einen Moment. Nickte kurz und sondierte nachdenklich die Umgebung. Ich war mir nicht sicher, ob er Kasperls Plan durchschaut hatte. Ob er überhaupt
kapierte, was hier eigentlich los war. Und plötzlich war mir klar, dass ich ihn warnen musste.
    »He, Zauberer!«, schrie ich so laut ich konnte. »Der Kasperl und seine blöden Kumpels wollen dich in eine Falle locken! Die wollen, dass du in ein Loch fällst, und
dann wollen sie dich aufspießen und braten und mit deinen Knochen Mikado spielen!«
    Der Zauberer schien mich für einen Moment anzusehen. Dann tauchte er ab und es war es still im Saal. Völlige Geräuschlosigkeit. Ich hatte einen dieser magischen Augenblicke
geschaffen, an dem eine ganze Halle wie auf ein Kommando einzuatmen scheint und das gemeinschaftliche Gebrüll für ein paar Sekunden erlischt.
    Nur meine Worte standen hell und klar im Raum.
    Auch die drei Freunde standen eine Weile regungslos und schweigend im Wald. Leise knarrte die Pappe, irgendjemand räusperte sich unter der Bühne.
    Kasperl fing sich als erster wieder.
    »Aha …«, sagte er und ließ ein bisschen unmotiviert seinen Mützenzipfel kreisen, »Kinder, ist denn der Zauberer wirklich hier gewesen?«
    »Jaaa!«, schrien alle.
    »Da müssen wir uns aber was einfallen lassen, oder Kinder?«, sagte Kasperl und schien jetzt wieder einigermaßen den Überblick zu haben.
    »Jaaa!«, brüllte der Saal.
    Und mitten drinnen ich, zitternd vor Wut und hilfloser Aufregung. Diese Idioten. Diese hirnverbrannten Idioten! Offenbar kapierten sie nichts. Nicht das Geringste. Nur ich, ich als Einziger sehe
das Unheil nahen. Die Ungerechtigkeit. Die Katastrophe.
    Und auf einmal geht alles schnell. Die drei Helden stecken ihre Köpfe zusammen, tuscheln, kichern, tun wichtig, beratschlagen sich mit dem Publikum, alle sind sich einig, alle freuen sich,
ein weiteres Lied wird gesungen, dazu wird ausgiebig im Kreis getanzt, anschließend versteckt man sich am Bühnenrand und wartet. Tatsächlich erscheint gleich darauf auch wieder der
Zauberer. Er zittert ein wenig hilflos mit seinem Zauberstäbchen in der Luft herum und marschiert dann nichts ahnend direkt auf den Picknickkorb zu. Kasperl grinst. Das Publikum feixt. Neben
mir beginnen die Backen des fetten Riesen zu beben vor Aufregung. Der Zauberer spaziert nickend und murmelnd auf das teuflische Loch zu. Die Kinder halten den Atem an. Kasperl kichert. Seine Augen
glänzen starr wie die Augen eines Raubvogels. Seine Nase ist spitz wie ein Schnabel. Ich spüre, wie mein Herz rast. Meine Stirn brennt. Mein Hemd klebt an der pochenden Brust. Und da
halte ich es
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