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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II
Autoren: Benedikt XVI
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einzutreten. Sehen wir uns einfach die kleine Geschichte an, die bei Johannes zeitlich nicht mit der Tempelreinigung zusammenfällt, aber ihre innere Sinngebung weiter verdeutlicht.
    Der Evangelist berichtet, dass unter den Pilgern sich auch Griechen befanden, „die hinaufgestiegen waren, um am Fest anzubeten“ (Joh 12,20). Diese Griechen treten an „Philippus aus Betsaida in Galiläa“ heran mit der Bitte: „Herr, wir wollen Jesus sehen“ (12,21). In dem Mann mit dem griechischen Namen aus dem halbheidnischen Galiläa sehen sie offenbar einen Vermittler, der ihnen den Zugang zu Jesus öffnen kann. Man fühlt sich bei diesem Wort der Griechen: „Herr, wir wollen Jesus sehen“ ein wenig erinnert an die Vision des heiligen Paulus von dem Makedonier, der ihm sagte: „Komm herüber und hilf uns“ (Apg 16,9). Das Evangelium erzählt uns weiter, dass Philippus die Sache mit Andreas bespricht und dass beide zusammen die Bitte zu Jesus bringen. Jesus antwortet – wie so oft im Johannes-Evangelium – geheimnisvoll und im Augenblick rätselhaft: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (12,23f). Auf das Verlangen einer griechischen Pilgergruppe nach einer Begegnung antwortet Jesus miteiner Passionsprophetie, in der er seinen bevorstehenden Tod als „Verherrlichung“ deutet – Verherrlichung, die sich in der großen Fruchtbarkeit zeigt. Was bedeutet das?
    Nicht eine augenblickliche und äußere Begegnung zwischen Jesus und den Griechen ist wichtig. Es wird eine andere, viel tiefer reichende Begegnung geben. Ja, die Griechen werden ihn „sehen“: Durch das Kreuz hindurch kommt er zu ihnen. Er kommt als gestorbenes Weizenkorn und wird Frucht tragen unter ihnen. Sie werden seine „Herrlichkeit“ sehen: Im gekreuzigten Jesus werden sie den wahren Gott finden, nach dem sie in ihren Mythen und ihrer Philosophie auf der Suche waren. Die Universalität, von der das Jesaja-Wort (56,7) spricht, wird in das Licht des Kreuzes gerückt: Vom Kreuz her wird den Völkern der eine Gott erkennbar; im Sohn werden sie den Vater und so den einzigen Gott erkennen, der sich am Dornbusch offenbart hat.
     
    Kehren wir zur Tempelreinigung zurück. Dort ist die universalistische Verheißung des Jesaja mit jenem Wort aus Jeremia (vgl. 7,11) verbunden: „Ihr habt mein Haus zu einer Räuberhöhle gemacht.“ Wir werden auf den Kampf des Propheten Jeremia um und für den Tempel bei der Auslegung der eschatologischen Rede Jesu noch einmal kurz zurückkommen. Nehmen wir das Wesentliche an dieser Stelle vorweg: Jeremia tritt leidenschaftlich für die Einheit von Kult und Leben in der Gerechtigkeit Gottes ein; er kämpft gegen eine Politisierung des Glaubens, die meint, Gott müsse auf jeden Fall seinen Tempel schützen, um nicht des Kultes verlustig zu gehen. Aber einen Tempel, der zur „Räuberhöhle“ geworden ist, schützt Gott nicht.
    Jesus findet offensichtlich in der Verbindung von Kult und Geschäft, gegen die er sich wendet, die Situation der Zeit des Jeremia neu gegeben. Insofern ist sein Wort wie seine Gebärde eine Warnung, in der von Jeremia her auch der Hinweis auf den Untergang dieses Tempels mitgehört werden konnte. Aber wie Jeremia, so ist auch Jesus nicht Zerstörer des Tempels: Beide weisen mit ihrer Passion darauf hin, wer und was den Tempel wirklich zerstört.
     
    Diese Auslegung der Tempelreinigung wird noch deutlicher in einem Wort Jesu, das in diesem Zusammenhang nur Johannes überliefert, das sich aber in verzerrten Formen im Mund von Falschzeugen im Prozess Jesu auch bei Matthäus und Markus findet. Dass ein solches Wort auf Jesus zurückgeht, ist unzweifelhaft, und dass es in den Zusammenhang der Tempelreinigung gehört, ist ebenso offenkundig.
    Der Falschzeuge sagt bei Markus Jesus nach, er habe erklärt: „Ich werde diesen von Menschenhand gebauten Tempel abbrechen und binnen drei Tagen einen nicht von Menschenhand gemachten errichten“ (Mk 14,58). Der „Zeuge“ liegt damit wohl ziemlich nahe an Jesu Wort, irrt aber in einem entscheidenden Punkt: Nicht Jesus ist es, der den Tempel zerstört; diejenigen, die ihn zur Räuberhöhle machen, geben ihn der Zerstörung preis, wie es zu Zeiten des Jeremia gewesen war.
    Bei Johannes lautet das wahre Wort Jesu so: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn wieder
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