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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu
Autoren: Gercke Stefanie
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zusammenzuckten. »Nein! Ich werde das nicht hinnehmen!« Mit einem Satz war er auf den Beinen. »Anita, verdammt! Wo steckst du?«, schrie er in die Nacht hinaus. »Das kannst du mir nicht antun!«
    Es war nur ein winziger Laut, der ihm antwortete, eine Art raues Piepsen, nicht lauter als der Jammerton eines Babys, aber es genügte. Dirk wurde erst kreidebleich, dann flutete das Blut zurück in sein Gesicht. »Anita?«, stammelte er und sah Leon an. »Das Geräusch eben  – hast du das auch mitbekommen? Es passte
nicht hierher … nicht in den Busch … Das war kein Tier … Ich bin mir sicher, das war Anita …«
    Leon schüttelte den Kopf. »Ich meine, etwas gehört zu haben … Ehrlich gesagt klang das wie ein Kätzchen, was aber eigentlich nicht sein kann. Wenn ich mich nicht irre, kam es von der Rückseite des Hauses, dort wo es direkt ans Löwengebiet grenzt. Aber dass Anita sich dort versteckt, halte ich für nicht wahrscheinlich.«
    Â»Wo soll sie denn sonst sein?«, fuhr Dirk ihn erregt an. »Es ist die einzige Möglichkeit, die bleibt. Ich muss aufs Dach.«
    Nach einem langen Blick hielt ihm Leon wortlos seine verschränkten Hände als Steigbügel hin. Seine Oberarmmuskeln schwollen an, als er das volle Gewicht des großgewachsenen Kameramanns halten musste, aber es gelang ihm. Dirk grabbelte auf dem Ried herum, bis er eine Handvoll zu fassen bekam und sich hochziehen konnte. Die Dachneigung war nicht sehr steil, sodass er sich aufrecht darauf vorwärtsbewegen konnte, ohne ständig Gefahr zu laufen abzustürzen.
    Â»Warte, nimm den hier mit«, rief Leon und reichte ihm seinen eingeschalteten Scheinwerfer hoch. Dirk nahm ihn entgegen, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und ließ den Strahl übers Dach und den mondbeschienenen Busch wandern. Langsam drehte er sich um die eigene Achse. Der Lichtkegel war so stark, dass er tief ins Revier der Raubkatzen sehen konnte, und mehr als einmal glühten im Dunkel Augen auf. Aber sonst war da nichts. Gar nichts. Sein Herz stolperte. Er leuchtete das Gebiet ein weiteres Mal ab. Wieder nichts.
    Der Verzweiflung nahe, ging er in die Knie und schob sich an den Dachrand des Giebels, der etwa einen Meter weit ins Löwenreservat ragte. Dort verteilte er sein Gewicht, weil er sich nicht sicher war, ob die Konstruktion ihn sonst tragen würde. Er streckte den Kopf über den Rand und schaute sich um. Im Osten zeigte ein heller Hauch, dass der Morgen nicht mehr fern
sein konnte, aber dieser Bereich lag in tiefem Schatten. Er richtete den Scheinwerfer nach unten. Was er dann vor sich sah, sollte er sein Lebtag nicht vergessen.
    Es waren Hände, oder vielmehr weiß glänzende Fingerknöchel. Und wirres dunkles Haar, strähnig, das Honiggold darin ohne Glanz. Die Hände umklammerten einen vorspringenden Holzbalken, wo der Erbauer des Hauses geschlampt und vergessen hatte, den Balken abschließend mit dem Dach abzusägen.
    Â»Anita«, wisperte er, und sein ganzes Leben lag in diesem einen Wort. Erst geschah gar nichts, aber dann bewegte sie den Kopf. Er hielt den Atem an.
    Das Haar fiel zurück. Im starken Licht leuchteten ihre Augen riesig in dem blassen Gesicht. Er ertrank in diesen Augen, bis ein gereiztes Aufstöhnen Anitas ihn zurück in die Wirklichkeit katapultierte. Er spreizte seine Beine, um sich abzustützen, und packte ihre Handgelenke, merkte aber sofort, dass seine Kraft in dieser Lage nicht ausreichte, sie allein heraufzuziehen.
    Â»Leon!«, brüllte er. »Hilfe! Schnell!«
    Wie Leon es schaffte, ohne Unterstützung in diesem Tempo aufs Dach zu klettern, konnte Dirk nie klären.
    Â»Vielleicht hat mir Gott dafür Flügel verliehen«, meinte Leon später schmunzelnd.
    Auf jeden Fall war er innerhalb weniger Sekunden bei Dirk, und gemeinsam zogen sie Anita hoch und setzten sie aufs Dach. Dirk hockte sich neben sie. Er musste sie festhalten, damit sie auf dem feuchten Ried nicht abrutschte. Sie zögerte nur einen winzigen Moment, dann lehnte sie mit einem leisen Seufzen den Kopf an seine Schulter.
    Es war der schönste Augenblick seines bisherigen Lebens. »Du bist in Sicherheit, ich bin bei dir«, murmelte er und streichelte ihr mit der freien Hand übers verfilzte Haar, wieder und immer wieder. Nach einer Weile spürte er, wie sich ihr rasender Puls allmählich beruhigte.

    Sie
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