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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes
Autoren: Nadine Kühnemann
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Angebot einer mit Waffengewalt erzwungenen Nötigung gewichen. Kjoren empfand die Anordnungen des Königs zwar als unrecht, doch eine Lösung des Problems wollte sich ihm auch nach langer Grübelei nicht eröffnen. Das Beste wäre gewesen, wenn die Valanen niemals hergekommen wären.
    Jemand setzte sich neben Kjoren auf den Baumstamm. Er hob den Blick nicht, sondern massierte weiter seine Füße. Seine Haare umgaben sein gesenktes Haupt wie ein dunkelblonder Vorhang. Er wollte mit niemandem reden, allein sein, seinen Gedanken nachhängen und seinen geschundenen Körper sich erholen lassen.
    »Danke«, sagte eine angenehme Stimme.
    Kjoren hob den Kopf. Neben ihm saß der junge Valane , der wenige Stunden zuvor beinahe einer Holzfälleraxt zum Opfer gefallen wäre. »Ich wollte mich schon eher bedanken, aber ich habe dich nirgends finden können.«
    Jetzt, wo das verkrustete Blut und der Dreck aus seinem Gesicht gewaschen waren, wirkte er fast gut aussehend, wenn auch etwas blass um die Nasenspitze. Ein echtes Milchgesicht.
    »Schon gut«, murmelte Kjoren . »Es ist schließlich nicht so, dass ich deinen Gegner getötet hätte, vielmehr hat er sich selbst hingerichtet.« Kjoren konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Milchgesicht schien an krankhafter Humorlosigkeit zu leiden. Er sah ihn an, als wäre ihm seine Intelligenz abhandengekommen.
    Mittlerweile hatte jemand es geschafft, ein Feuer zu entzünden. Mehrere Soldaten scharten sich darum und wärmten sich die ausgekühlten und schmerzenden Glieder. Kjoren bedauerte, dass seine Truppe es nicht bis Sonnenuntergang nach Nelester geschafft hatte, um dort ein Luftschiff nach Lyn zu nehmen. Jetzt würden sie noch einen Tag länger in dieser Einöde verbringen müssen. Und das war allein die Schuld der widerspenstigen Bauern, die sich als zäher erwiesen hatten, als sie aussahen. Kjoren unterdrückte seinen Verdruss. Ärger hatte noch niemanden seinem Ziel näher gebracht.
    »Man muss die Dinge nehmen, wie sie sind, es sei denn, es liegt in deiner Macht, sie zu ändern«, hatte sein Vater immer zu ihm gesagt. Und der musste es wissen. Er hatte in seinem Leben viele Dinge hinnehmen müssen, die ihm nicht gefielen. Das Flugverbot für Firunen und deren Pflicht, magische Eisenhalsbänder zu tragen, die sie der Flugfähigkeit beraubten, waren nur zwei der Dinge, mit denen sich sein Volk abfinden musste, seit die Valanen in Yel aufgetaucht waren und es beherrschten.
    Das valanische Milchgesicht neben ihm spielte nervös an seinen Fingern herum. Vermutlich brannte ihm dieselbe Frage auf der Seele, die er schon unzählige Male gehört hatte, seit er Mitglied der Armee war. Doch der Kerl traute sich scheinbar nicht, sie ihm zu stellen. Demonstrativ rückte Kjoren sein eisernes Halsband zurecht und nestelte an den Vogelfedern, die er zur Dekoration darauf geklebt hatte. Sollten sie es doch alle sehen, er war kein Valane . Und ebenso sollten sie das nach seinem Geschmack verzierte Halsband sehen. Man musste eben das Beste aus seiner Situation machen.
    Das Milchgesicht räusperte sich, als wollte er Kjorens Aufmerksamkeit erregen. »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Leroy«, sagte er und streckte seine Hand vor.
    Kjoren griff zögerlich danach, packte aber kräftig zu. Schließlich war er ein ganzer Mann. Leroys Hand fühlte sich warm an, aber sein Händedruck war zu schwach für einen Soldaten. Wie er vermutet hatte, ein Weichei.
    »Leroy, und weiter?«
    Leroy lächelte verlegen. »Oh, ich habe keinen Familiennamen, falls du das meinst.«
    »Alle Valanen haben Familiennamen«, brummte Kjoren . Mittlerweile brannte das Feuer höher und die Nacht brach herein. Jemand hatte einen Suppenkessel über den Flammen an einem Gestell befestigt. Das Licht des Feuers warf groteske Schatten auf Leroys blasses Valanengesicht . Auf eine Art sahen sie doch gleich aus – schmale Gesichter, kurze Nasen und kleine Augen.
    Leroy senkte die Stimme, als fürchtete er, irgendwer außer Kjoren könnte ihn hören. Dabei waren alle anderen Soldaten damit beschäftigt, sich die Füße und Hände warm zu reiben. »Ich stamme aus einer Firunenfamilie «, sagte Leroy im Flüsterton. »Man hat mich adoptiert.«
    Kjoren zog die Augenbrauen hoch. Vielleicht war sein Kamerad doch interessanter, als er erwartet hatte.
    »Das ist aber sehr ungewöhnlich. Du musst tolerante Eltern haben«, sagte Kjoren .
    »Ich stamme aus der Gegend um Budford , da fällt es nicht so auf. Dort tummeln sich
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