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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Autoren: Audur Jónsdóttir
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Sonnenlicht wird und das Koffein gute Laune in meine Adern spült. Dann mache ich den Laptop an, verbinde mich mit der Welt und warte auf die Startseite mit den Nachrichten. Ich bin auf alles gefasst, denn während man schläft, kann allerhand passieren. Irgendwo in Island hat womöglich eine Lawine ein Dorf unter sich begraben, oder bei einem Terroranschlag in Sydney ist eine ganze Wohnstraße verwüstet worden.
    Doch damit hätte ich nie im Leben gerechnet!
    Frau vermisst
    Seit vergangenen Freitag wird die Kunsthistorikerin Arndís Theódórsdóttir vermisst. Sie wurde zuletzt in ihrer Galerie »Össa« gesehen. Arndís hat braune Augen, dunkelblonde Haare und war zuletzt mit einer zweifarbigen Jacke (braun/grau), einer dunkelgrauen Hose und hellbraunen Lederstiefeln bekleidet. Um den Hals trug sie eine Kette mit grünen Halbedelsteinen. Wer Angaben über den Aufenthaltsort von Arndís Theódórsdóttir machen kann, wird gebeten, sich unter der Telefonnummer 444 1000 mit der Polizei Reykjavík in Verbindung zu setzen.
    Da finde ich sie endlich wieder, und schon ist sie verschwunden. Die Polizei sucht nach ihr. Was, wenn sie tot ist?
    Nach dem Foto zu urteilen, hat sie sich kaum verändert: ein gleichmäßiges, eher breites Gesicht mit einer Himmelfahrtsnase und etwas schräg stehenden Augen über den hohen Wangenknochen. Nur einen Kurzhaarschnitt hat sie nicht mehr, stattdessen trägt sie eine dieser Fönfrisuren aus den Achtzigerjahren, die seitdem in allen möglichen Varianten wieder auftauchen.
    Alles okay, Sunna?
    Alles bestens, murmele ich und sehe von dem Computer auf. Axel steht an den Türrahmen gelehnt, mit nichts als seiner blaukarierten Schlafanzughose bekleidet. Seine blonden Haare stehen in alle Richtungen ab wie erstarrte Kaulquappen. Du kuckst so ernst, sagt er. Was liest du denn da?
    Nur die Nachrichten. Willst du Kaffee?
    Ja, gern.
    Ist in der Kanne. Ich muss ungeduldig klingen, denn er kommt zu mir herüber und fragt, was denn Besonderes in den Nachrichten stehe, reckt sein Kinn in Richtung Bildschirm und überfliegt einen Bericht über einen Stall in Nordisland, in dem Schafe verbrannt sind, sowie eine Nachricht von einem Bombenanschlag in Afghanistan. Die Suchmeldung der Polizei bemerkt er gar nicht, schließlich wird fast jeden Tag nach irgendwelchen Leuten gesucht, meistens nach Jugendlichen oder verirrten Touristen, er kommt nicht darauf, dass ich die vermisste Person kenne.
    Weißt du etwas darüber?, fragt er.
    Meinst du den Anschlag in Kabul?
    Röte steigt in seinen Wangen auf. Nein, natürlich nicht. Ich meine den Bauern, dessen Schafe verbrannt sind. Vielleicht ist das ja ein Verwandter von dir, was weiß ich? Axel lächelt und meint nur, dass man mir mal wieder alles aus der Nase ziehen müsse.
    Ich sehe ihn lange an: meinen schönen Mann mit dem Meeresblau in den Augen und der aristokratisch gebogenen Nase, den wohlgeformten Lippen, die seine geraden, weißen Zähne freigeben, wenn er lächelt; den Engelslocken, die ihm in die Stirn fallen, und dem Dreitagebart, der im Sonnenschein fast golden wirkt. Merkwürdig, dass ein vierzigjähriger Mann so jungenhaft wirken kann. Auf einmal erinnert er mich an Ari, der seine Mutter in dem guten alten Kinderreim fragt, warum der Himmel blau sei. Ich ziehe ihn an mich, schlinge die Hände um seinen Hals und sage: Du merkst auch alles. Dafür darfst du den zweiten Dezember essen, wenn du willst.
    Nein, sagt Axel verschlafen. Alle Tage sollen dir gehören. Und lacht auf eine Art, dass die Frau auf dem Computerbildschirm in der Ferne verschwindet, während meine Hände über seinen Kopf, seine Haare und Schultern streichen. Dann fahre ich mit den Fingerkuppen über seine Wangen und unter sein Kinn, über seine Brust und seinen Bauch immer weiter nach unten. Reibe meine Nase an seiner Kehle. Überlege, wer von uns Yin ist und wer Yang, als er mich fragt, ob ich nichts unter dem Nachthemd anhabe. Na, na, flüstere ich.
    So wird die Sonne schwarz
    So verbrenne ich
    Bis auf die Grundmauern
    Dann liegen wir platt auf unseren Hintern auf den Fußbodenfliesen, leer wie Säuglinge am Morgen ihres ersten Tages, mit fast geschlossenen Augen, jeder mit seinen Wollsocken unter dem Kopf. Axel lächelt schläfrig, er ist inzwischen an diese Morgengymnastik gewöhnt, die ungefähr zur selben Zeit begann wie der Yogakurs. Die asiatischen Stellungen haben mein Blut in Wallung gebracht und lassen mich auf bisher ungekannte Art Initiative zeigen.
    Wolltest du mir nicht
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