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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Autoren: Audur Jónsdóttir
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einen Kaffee holen?, fragt er schließlich. Ich vermute, dass der inzwischen lauwarm ist, und rate ihm, neuen zu kochen. Dann drücke ich mein Nachthemd an mich, husche ins Badezimmer und stopfe es in die Waschmaschine. Im nächsten Moment läuft bereits Wasser in die Wanne.
    *
    Warum wird sie vermisst?
    Plops, macht ein Tropfen, der aus dem Hahn fällt und die Wasseroberfläche kräuselt. Der Dampf macht meine Augenlider schwer, Seifenschaum bedeckt mein Gesicht, und Blumenduft lullt meine Sinne ein, während eine nervöse Neugier von mir Besitz ergreift. An Ágústas Worte denkend, stelle ich mir einen ruhigen Ort vor, um mich zu entspannen, und versuche für einen Augenblick, mich in ein brütend heißes Treibhaus voll blühender Rosenbüsche hineinzuatmen. Dann platsche ich mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht, sauge die Winterluft ein, die durch das Fenster hereinströmt, und halte Ausschau nach dem Mond.
    Axel kramt währenddessen in der Küche herum: nimmt den brodelnden Kaffeekocher von der Gasflamme, schaltet das Küchenradio ein und wieder aus, schaufelt sich Cornflakes hinein, stürzt den Kaffee herunter und wäscht sich in unserem kleinen Gäste-Bad vorne am Eingang. Hoffentlich geht er bald zur Arbeit. Ich muss mir unbedingt in Ruhe die Vermisstenanzeige ansehen und im Internet nach weiteren Informationen suchen. Zum Glück ist heute Frisier-Tag. Im Verlag wissen alle, dass ich am ersten Montag jedes Monats meiner Mutter die Haare mache; bestimmt ist sie schon wach, hat sich die Haare nass gemacht und hält bereits am Fenster Ausschau nach mir. Trotzdem trödele ich weiter. Dies ist der Höhepunkt. Im Leben einer zweiunddreißigjährigen Frau, die es genießt, in heißem Wasser vor sich hin zu köcheln wie ein Stück Hammelfleisch. Eines Tages wird sie in der Erde vergraben werden, um zu verrotten wie ein Haifisch. Oder verbrannt werden wie eine Kartoffel in der Kohlenglut.
    Derlei düstere Gedanken lassen mich aus dem Wasser hochfahren. Ich trockne meine Hände ab, strecke mich, um das schrottige Radio auf der Waschmaschine zu erreichen, und mache die Morgennachrichten lauter in der Hoffnung, mehr über Arndís zu erfahren. Dann tauche ich wieder bis zu den Nasenlöchern unter. Höre, wie die Leute in der Welt da draußen darüber spekulieren, ob eine der kleinen Parteien den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt: Der Nachrichtensprecher räuspert sich, als ein Politiker sagt, dass er vor der Pressekonferenz keinen Kommentar abgeben werde.
    Axel übertönt ihn, er ruft mich. Hastig stelle ich das Radio leiser und schätze mich glücklich, dabei keinen Stromschlag zu bekommen. Was?
    Darf ich reinkommen?, fragt er. Ich muss mich beeilen und müsste dir noch etwas sagen.
    Durch die feuchte Hitze rufe ich ihm zu, dass ich aus Versehen abgeschlossen habe und er mir dieses Etwas durch die Tür sagen müsse. Er zögert und rückt dann damit heraus, dass Helgi heute Abend zu uns kommt und vorerst auch hier bleiben wird; so lange jedenfalls, bis seine Mutter Weihnachtsurlaub hat.
    Was!?! Wie ein aufgebrachtes Nilpferd schieße ich aus dem Wasser, schlage mir ein Handtuch um und reiße die Tür auf. Habe ich das richtig verstanden?
    Ja. Axel lächelt sein unwiderstehliches Lächeln. Er sagt, dass Helgis Mutter bis Weihnachten in Kopenhagen sei. Sie müsse dort einen Gerichtstermin nach dem anderen wahrnehmen, sonst bekämen ihre Vorgesetzten Zweifel daran, dass sie ihren Job von hier aus genauso gut machen könne, nun gelte es, die Absprachen einzuhalten.
    Na und?
    Sunna, du weißt, wie viel mir daran liegt, dass die beiden in Island bleiben, sagt er in seinem typischen, halb beschuldigenden, halb entschuldigenden Tonfall. Er weiß, wie er seine Ziele erreicht. Sieben Jahre hatte seine Exfreundin in Kopenhagen-Frederiksberg gelebt, und die gemeinsamen Vater-Sohn-Wochenenden im Tivoli und Zoo waren mit jedem Jahr seltener geworden. Ich kenne den Jungen kaum noch, er kommt bald mehr nach dem dänischen Kronprinzen als nach mir. Aber eins ist sicher, seine Mutter würde eher wieder nach Kopenhagen zurückgehen als ihren Job aufgeben. Da lässt sie lieber ihre Mutter sterbenskrank im Pflegeheim zurück. Aber wenn alles klappt, könnte sie von hier aus arbeiten und in Island bleiben, auch wenn ihre Mutter einmal nicht mehr da sein sollte. Jetzt, wo Helgi hier zur Schule geht. Wir müssen ihr nur dabei helfen, dass alles glattgeht, mein Schatz.
    Und warum erfahre ich das erst jetzt?
    Du hast geschlafen, als Helgi
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