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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Autoren: Audur Jónsdóttir
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Junggeselle. Was haben Sie denn noch dabei, meine Liebe? Ich kann hier nicht ewig rumstehen und mit Ihnen über Pädagogik plaudern.
    In meiner Verzweiflung biete ich ihr das Kinderbuch mit einer ungewöhnlich hohen Händlerprovision an, doch sie sagt nur, dass niemand Prozente für etwas bekomme, das keiner kauft. Ich gebe es auf und lege die anderen Bücher vor ihr auf den Tisch. Alles druckfrisch, sage ich. Hier zum Beispiel, eine Neuausgabe von dem Tagebuch eines Diebs von Jean Genet, ein fantastisches Buch. Dasselbe könne man über diese superspannende Essaysammlung über La novella negra , den spanischen Krimi, sagen, an deren Übersetzung ich selbst mitgearbeitet habe.
    Mitleid scheint in ihren Augen auf, und sie sagt mit einem leidvollen Seufzer: Bitte, richten Sie den Brüdern Sonderbar aus, dass sie mir keine Leute mehr mit solchem Kram aus dem Elfenbeinturm schicken sollen. Wenn ich ihnen helfen soll, etwas zu verkaufen, müssen sie mehr Leute wie Valgardur entdecken.
    Aber … das wäre Zensur, sage ich in der Hoffnung, zumindest etwas das Gesicht zu wahren, doch sie berichtigt mich sofort: Das ist keine Zensur. Das ist Diskriminierung, wenn’s hoch kommt. Dabei hatte ich gedacht, dass ihr Verlagsleute wenigstens die richtigen Begriffe verwenden könnt.
    Warten Sie, Moment, bettele ich. Der Essayband über den spanischen Kriminalroman setzt sich ausführlich mit dem Krimi-Genre auseinander. Und wir haben auch isländische Literatur. Die hätte ich Ihnen eigentlich als Erstes zeigen müssen. Schauen Sie mal. Dieser Autor gilt als der …
    Sie fasst mich mütterlich am Arm und bittet mich, ihr in Gottes Namen zuzuhören: Glauben Sie mir, ich tue mein Bestes, ich werde so viele Bücher von Valgardur verkaufen, wie es nur geht. Das verspreche ich Ihnen, damit die Brüder nicht pleitegehen und Sie nicht Ihren Job verlieren und all diese armen Menschen nicht aufhören müssen mit dem Schreiben, Übersetzen, Zeichnen und Büchermachen. Mit allem, was ihnen im Leben Spaß macht. Ich meine das ernst. Ich meine es gut mit Ihnen.
    *
    Fünf Verbrauchermärkte, sieben Buchhandlungen und ebenso viele Einkaufschefs. Dabei habe ich jetzt schon die Nase voll. Doch zumindest werden Buchhandlungen nicht so rigide geführt wie die großen Einkaufsläden. Echte Buchhändler haben viel mehr Sinn für Literatur als Einkaufschefs, die über ein paar Quadratmeter Stellfläche verfügen. Ein Buch, das diese kaum zur Kenntnis nehmen, wird von einem Buchhändler geradezu verschlungen. Also mache ich mich erst auf in die Vororte, um möglichst viele Verbrauchermärkte abzuhaken, bevor ich die Buchhandlungen besuche. Ich will das Schlimmste gleich hinter mich bringen.
    Es gelingt mir sogar, das Verlagsauto zurückzubringen, bevor ich mich mit der Krimi-Expertin in einem netten, wenn auch ziemlich leeren Café treffe. Es überrascht mich, wie viel Spaß es macht, einen Workshop vorzubereiten, wenn man dabei Espresso trinken kann. Die Kursleiterin heißt Oddný und ist eine Frau mit einem schlauen Glanz in den Augen und dickem Babybauch. Sie lacht gern und ist ungefähr so alt wie ich. Wahrscheinlich wird das Seminar echt schön, vollkommen sinnlos, sich all diese Sorgen zu machen.
    *
    Das war ein langer Tag.
    *
    Ich werfe meine Jacke über den Küchenhocker, nehme mir ein Glas Wasser und fahre den Computer hoch. Stürze das Wasser herunter, meine Internet-Startseite erscheint, und ich lasse mich auf den Stuhl fallen. Keine neuen Nachrichten über Arndís. Im Gegenteil, jetzt sucht die Reykjavíker Polizei auch noch nach irgendwelchen dunkelhäutigen Männern, wahrscheinlich arabischer Herkunft, die vor drei Tagen mit Iceland Express aus Berlin hierhergeflogen sind. Neben der Nachricht ist ein Foto von den Männern mit einem Jagdhund. Ich schmunzele. Immer dieselben Fahndungsmeldungen über irgendwelche unheimlich aussehenden Ausländer, die in Island unterwegs sind. Mal sind es Litauer, mal Polen, Chinesen, Italiener … und so weiter, alle verdächtig. Die große Welt ist ein Ort voller Gefahren. Und sie ist nah an Island herangerückt.
    Gähnend überfliege ich die wichtigsten Nachrichten. Die Politiker haben ihre schon oft angekündigte Pressekonferenz nun auf unbestimmte Zeit verschoben. Kritische Stimmen überlegen, ob eine sich möglicherweise bildende Mehrheit den Krieg in einem fernen Land unterstützen würde, und der Bauer in Nordisland schafft mit Hilfe seiner Nachbarn die aschegrauen Schafskadaver fort, während
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