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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Autoren: Audur Jónsdóttir
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Artikeln und Kurzgeschichten nichts übersetzt, und mein Spanisch rostet langsam ein. Ich habe eine Million Kannen Kaffee gekocht, eine Ewigkeit am Telefon verlabert und eine Million staubiger Bücher gezählt. Ich bin ein weiblicher Laufbursche.
    Und laufe im Kreis.
    Und hätte längst wissen müssen, dass ich die Brüder meiden sollte, wenn sie unter vier, nein, sechs Augen mit mir sprechen wollten.
    Sie hatten gelächelt, dass ihre Goldkronen glänzten, zwei schwabbelige Bulldoggen mit grauen Mähnen. Sie strichen sich über ihre sahneweißen, glattrasierten Wangen, blinzelten mich mit ihren funkelnden schwarzen Augen an und erklärten mir dann, ich solle an einem Workshop über die Kunst des Krimischreibens teilnehmen. Als hätte Mama sie angerufen, während ich auf dem Weg hierher war.
    Ich sollte bei dem Workshop unseren Verlag repräsentieren, der Valgardur Jónsson herausgab, den genialen Schriftsteller, mit dem ich drei Jahre zusammen zur Schule gegangen war und den meine Freundin Björg und ich damals Valli Widerlich nannten, weil er seine Popel gegessen hatte. Wie unvorhersehbar das Leben doch sein kann.
    Nun ist Björg eine alleinstehende Mutter von drei Bälgern mit einem schlecht bezahlten Job in einem Reisebüro, das einen derart schlechten Ruf hat, dass jede zweite seiner Pauschalreisen in den Klatschblättern landet. Ich mache in einem Verlag die Arbeit von Praktikanten und habe immer weniger Hoffnung, dass ich es jemals schaffe, hier zu kündigen, während Valli Widerlich Krimis schreibt, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt werden und um deren Filmrechte sich die Filmproduzenten schlagen. Er ist Millionär und wohnt zusammen mit einer bekannten deutschen Theaterschauspielerin und ihren zwei Söhnen in einer großen Wohnung im Greenwich Village. Um ehrlich zu sein, hatte er schon immer einen gewissen durchtriebenen Charme besessens, trotz der Popelfresserei und seines rüpeligen Benehmens. Im Sommer nach dem Abi schlief ich einmal in seinen langen, dünnen Armen in dem schmuddeligen WG-Zimmer ein und schreckte hoch, als er aufsprang und türenschlagend zu seinem Job auf irgendeiner Baustelle verschwand. Wenig später stellte ich fest, dass ich im Schlaf meine Tage bekommen hatte. Auf dem schneeweißen Laken waren Blutflecken, so tief-tief-tiefrot, dass ein schamhaftes Mädchen nicht anders konnte, als sich mit dem Laken unter dem Arm aus dem Haus zu stehlen – nicht einmal meiner Freundin Björg hatte ich das jemals erzählt. Mit etwas Glück war es mir gelungen, Valgardur all diese Jahre aus dem Weg zu gehen, es war schon albern genug, dass ich bei dem Verlag arbeitete, der von seinen Büchern lebte. Genau vor zehn Jahren kam sein Debüt auf den Markt. Dieses Wunderkind hatte mit zweiundzwanzig seinen ersten Krimi veröffentlicht und davon immerhin fünftausend Exemplare verkauft. Im folgenden Jahr hatten sich die Verkaufszahlen verdoppelt – und sie verdoppelten, verdreifachten, vervielfachten sich seitdem immer weiter. Valli war dazu geboren, Krimis zu schreiben. Im Gegensatz zu mir, die nicht einmal Lust hatte, welche zu lesen, auch wenn ich es aus beruflichen Gründen manchmal musste.
    Ich hatte den Brüdern gesagt, dass ich von Krimis nichts verstehe, so dass doch besser unsere Lektorin Dagbjört auf das Seminar gehen sollte oder Stefanía, die Buchhalterin, wo sie doch so ein großer Fan von Valli sei.
    Aber nein. Sie wollten, dass ich hingehe, ich könne so gut mit Leuten – und auch kapriziösen Autoren – umgehen. Während Zigarrenrauch aus dem Aschenbecher aufstieg, sahen sich mich in ihren rostroten Burberry-Westen wohlwollend an und gaben mir zu verstehen, dass ich mich dieses Mal nicht aus der Sache herausmogeln könne. Þorgeir, der Vertriebschef, liege nun mal im Bett, und ich müsse für ihn einspringen. Meine Aufgabe sei es, unsere Bücher in den Verbrauchermärkten unterzubringen, außerdem sollte ich überwachen, wie sie in den Buchhandlungen präsentiert wurden, und an diesem Seminar teilnehmen, das bereits morgen Abend begann.
    Was hat Þorgeir eigentlich?, fragte ich schließlich. Sie sahen einander an, zögerten einen Moment, denn sie reden nicht gern über Privatangelegenheiten, nickten dann aber beide mit dem Kopf, ohne dass ihre geleckten grauen Mähnen sich bewegten, und antworteten schließlich wie aus einem Mund, er habe eine Lungenentzündung.
    Das war eine Pattsituation. Wenn Þorgeir so krank war, konnte ich nicht anders, als die Sache zu
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