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Jenseits der Zeit

Jenseits der Zeit

Titel: Jenseits der Zeit
Autoren: Robert Silverberg
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gegenüber geleistet haben, an den Seigneur über. Er bekommt die Kontrolle über unsere Loyalität.«
    Herndon saß wie betäubt da, seine Handflächen waren kalt, ihn fröstelte am ganzen Körper. Loyal gegenüber Krellig, seinem Feind, den er geschworen hatte, umzubringen?
    Der Widerstreit ließ seine Gedanken rasen. Wie sollte er seinen früheren Schwur einhalten, wenn diese neue Situation dem völlig konträr gegenüberstand? Die Weitergabe der Loyalität war eine übliche Sache auf dieser Welt. Durch Benjins Vertragsbedingungen war Herndon jetzt ein auf den Seigneur eingeschworener Vasall.
    Tötete er Krellig, würde das seinen Schwur verraten. Diente er dem Seigneur mit aller Kraft, so mußte er seinen eigenen Schwur brechen und seine Eltern und seine Heimat ungesühnt lassen; ein unerträgliches Dilemma. Herndon zitterte am ganzen Körper.
    »Unser Weltraumtramp scheint über die Abmachung nicht sehr erfreut zu sein«, bemerkte Oversk. »Sind Sie krank, Herndon?«
    »Schon gut«, sagte Herndon steinern. »Es ist nur die Kälte draußen. Läßt einen frösteln.«
    Loyal gegenüber Krellig! Hinter seinem Rücken hatte man ihn an den von ihm meistgehaßten Mann verschachert. Herndons ethische Grundlagen waren vollständig auf dem Konzept von Loyalität und unbeugsamem Gehorsam, auf der Grundlage der Heiligkeit eines Eides gegründet. Jetzt stellte er fest, daß er zwei miteinander unvereinbare Verpflichtungen eingegangen war. Dieser innere Konflikt zerriß seine Seele, quälte, marterte ihn – der einzige Ausweg war, wie es schien, der Tod.
    Er erhob sich. »Entschuldigt mich«, sagte er. »Ich habe noch eine Verabredung in der Stadt. Sie können mich unter meiner üblichen Anschrift erreichen, wenn Sie mich brauchen.«
     
    Er benötigte fast einen ganzen Tag, um zum Chefsteward im Anwesen der Moaris durchzukommen und ihm zu erklären, daß er auf fernen Welten länger als geplant aufgehalten worden war, daß er aber immer noch vorhatte, wieder in den Dienst der Moaris zu treten und seine Pflichten treu und redlich zu erfüllen. Nach einigem Hin und Her wurde er wieder als Zweiter Steward angestellt und mit Aufgaben betraut, die auf dem weitläufigen Moaris-Gelände jeden Tag anfielen.
    Mehrere Tage vergingen, bevor er auch nur einen Blick auf Lady Moaris werfen konnte. Das überraschte ihn nicht – das Moaris-Anwesen bedeckte eine weite Fläche innerhalb von Borlaam City, und der Lord und die Lady bewohnten Teile, die er kaum von weitem zu sehen bekam. Der Rest ihres Besitzes bestand aus Bibliotheken, Tanzsälen, Kunstgalerien und anderen Räumen, in denen die Schätze der Moaris aufbewahrt waren. All diese Räume mußten täglich von Angestellten gereinigt werden.
    Herndon sah sie dann eines Tages, als er durch einen Korridor im fünften Stock einer Galerie in Richtung des Aufgangs zum sechsten Stock ging, um dort seiner Aufgabe, dem Katalogisieren der Gemälde im sechsten Stock, nachzukommen. Zuerst hörte er das Rascheln eines weiten Reifrocks, dann kam sie eine Treppe herunter, begleitet an beiden Seiten von zwei kupferfarbenen Toppidan-Riesen, gefolgt von zwei eifrigen Hofdamen.
    Lady Moaris selbst trug dünne Kleider, die ihre Körperformen betonten, in ihrem Gesicht stand Trauer geschrieben; es schien Herndon, der sie nur von weitem sah, daß sie unter beträchtlicher Belastung stand.
    Dann trat er zur Seite, um die Prozession passieren zu lassen; die Frau entdeckte ihn und warf ihm einen schnellen Blick zu. Ihre Augen wurden vor Überraschung größer, als sie ihn auch erkannte. Herndon wagte nicht, zu lächeln. Er blieb stehen, bis sie an ihm vorbei war, während er innerlich große Freude verspürte. Es war nicht schwer gewesen, ihren Gesichtsausdruck zu deuten.
    Später an diesem Tag kam ein blinder Agozlid-Diener zu ihm und übergab ihm schweigend eine versiegelte Nachricht. Herndon steckte sie ein, wartete, bis er allein in einem Korridor war, in dem er sicher vor den elektronischen Spionen des Lord Moaris war. Er war sich deshalb so sicher, weil er erfahren hatte, daß die Überwachungsgeräte in diesem Bereich defekt waren.
    Dann erbrach er das Siegel. Es standen nur wenige Zeilen auf dem Papier: Ich habe einen Monat lang auf dich gewartet. Komm heute nacht zu mir. M. verbringt die Nacht im Palast des Seigneurs. Karla wird dich einlassen.
    Sekunden später verblaßte die Geheimschrift, das Papier war wieder weiß. Lächelnd warf Herndon es in einen Abfallkorb.
    Vorsichtig machte er sich auf
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