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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
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eng um seinen Hals und seine Brust zusammen, und die Taschen fielen um. All die vielen Taschen begruben ihn unter sich.
    Dann wurde es still und schwarz.
    Bis er Harry weinen hörte.
    Bis er Harry hörte.
     
    Miles öffnete die Augen, und es war dunkel. Es war Nacht. Er setzte sich auf, und im schwachen grauen Licht, das aus dem Flur hereindrang, sah er eine Gestalt, die auf einem Stuhl neben dem Bett saß und schlief. Es war Joe. Er war immer noch da.
    Miles lehnte sich leise ins Kissen zurück, aber Joe öffnete die Augen. Er setzte sich auf und griff nach der Bettkante.
    »Wie geht’s dir?«, fragte er und machte Licht. »Brauchst du was? Hast du Hunger?«
    Miles schüttelte den Kopf. Er musste blinzeln, weil das Licht so grell war.
    »Du bist zurückgekommen«, sagte er.
    Joe nickte. Er sah auf seine Hände und ließ das Bett los. Miles wusste, dass sie zitterten.
    »Der Wind war zu stark«, sagte er. »Ich bin nicht durch die Meerenge gekommen. Ich kam nicht weg.«
    Und Miles wusste, Joe hatte Glück gehabt, dass er nicht auch dort draußen verlorengegangen war. Großes Glück.
    »Es war Dad«, sagte Miles, und Joe stand vom Stuhl auf.
    »Ich weiß. Alles okay. Ich weiß, was passiert ist.«
    Aber Miles schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er ruhig. »Onkel Nick war da. Er war im Auto. Ich habe ihn gesehen. Aber dann habe ich es vergessen.«
    Joe machte den Mund auf, sagte aber nichts. Er stand einen Moment so da, dann setzte er sich zurück auf die Stuhlkante, und Miles erzählte vom Unfall, von dem, woran er sich jetzt erinnerte.
    Er erzählte davon, wie dunkel es gewesen war, als er die Augen wieder geöffnet hatte, wie still. Keine Hupe, keine Scheinwerfer. Aber jemand hatte von oben auf ihn heruntergesehen. Es war noch jemand im Auto gewesen. Dad.
    »Er hat uns dort zurückgelassen«, sagte Miles. »Er hat Nick mitgenommen und ist nicht wiedergekommen.«
    Miles erinnerte sich daran, wie er in der Kälte im Dunkeln gewartet und wie er immer wieder nach Mum gerufen hatte, aber sie hatte nicht geantwortet. Sie antwortete kein einziges Mal. Und er hatte zu viel Angst, um seine Hand nach ihr auszustrecken und sie zu berühren. Er hatte zu viel Angst, sich zu bewegen. Er fand eine Decke auf dem Boden und wickelte sie fest um Harry. Und er versuchte, wach zu bleiben.

S ie schliefen auf Joes Boot.
    Miles wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Großvaters Haus war ausgeräumt. Aber sie machten in der Nähe von Lady Bay fest, und er verbrachte die sonnigen Abschnitte des Tages oben am Haus auf der Veranda. Das Boot mochte er allerdings auch, er mochte, wie es sich anfühlte. Joe hatte während seiner Ausbildung mit dem Bauen begonnen, und es hatte lange gedauert. All die Jahre. Das Holz im Inneren war golden und weich. Die Kombüse und die Arbeitsflächen, die kleine Küchenecke und die Doppelstockbetten, alles war aus Holz. Alles hatte Joe gezimmert. Und nun lag das Boot da und wartete darauf, wieder in See zu stechen.
    Miles saß auf dem Bett. Joe studierte eine Kartenrolle auf dem Tisch und machte sich Notizen. Er benutzte ein Lineal, um die Strecke zu markieren, die er nehmen würde, um dorthin zu gelangen, wohin er wollte, wo immer das auch war. Er markierte die Strecke, die am schnellsten von hier wegführte.
    Miles stand plötzlich auf.
    »Ich komme mit«, sagte er. »Zum Haus.«
    Joe sah ihn über den Tisch hinweg überrascht an. Er legte den Bleistift weg, presste die Handflächen an die Tischkante.
    »Okay«, sagte er.
    Unterwegs im Transporter hielt Miles die Augen gesenkt. Er sah nicht aus dem Fenster, nicht auf die Straße oder in den Himmel, nicht in die Bäume oder zum Fluss. Er sah nirgendwohin. Seine Beine gerieten ins Blickfeld, die Türverkleidung. Ihm wurde schlecht.
    Am Freitag war Harrys Beerdigung. Am Freitag, auf dem Friedhof, auf dem Mum begraben lag. Auf dem Großvater begraben lag. Es würden viele Leute da sein, und sie würden alle weinen, und alle würden sagen, wie schrecklich es war. Harry wäre es nicht recht, dass all diese Leute kämen, Tante Jean und die Verwandten aus der Stadt. Und Miles wollte sie nicht sehen. Er wollte an keinen von ihnen denken.
    Als sie in der Einfahrt hielten, blieben sie sitzen. Sie saßen lange im Auto, schweigend. Joes Gesicht war reglos, seine Augen müde. Miles sah, wie er das Haus anstarrte.
    »Was, glaubst du, ist mit ihm passiert?«, fragte Miles. »Mit Dad?«
    Joe schüttelte den Kopf.
    »Keine Ahnung«, sagte er und wischte sich über
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