Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen
Autoren: Favel Parrett
Vom Netzwerk:
riesigen Spiegel, in dem sich der Himmel verdoppelte.
    Sogar die Blätter an der Knack-Akazie leuchteten in diesem Licht.
    Es machte alles lebendig.
    Und sie waren auf dem Weg nach Cloudy. Sie fuhren weg.
    Das Wasser war ruhig, es ruhte sich aus, wartete und ließ sie durch. Der Wind war genau richtig, sie konnten segeln, ohne viel tun zu müssen, ohne überhaupt etwas tun zu müssen. Still glitten sie durch den Dunst, der sich langsam auflöste, in die Bucht hinein. Cloudy sah aus wie neu. Als die Sonne aufging, wurden die Umrisse schärfer, und der Nebel verschwand. Und wie im Traum glühten die erwachenden Klippen orangefarben, der Sand leuchtete silbern auf, und der Himmel, noch blassviolett, war voll und offen.
    George war da, er wartete, Jake neben sich.
    Als sie im Sand standen, schien keiner etwas sagen zu müssen. Keiner brauchte Worte. Gemeinsam gingen sie in die Dünen hinein bis zu einer Stelle, die windgeschützt war und unerreichbar für die Flut. Joe kniete sich hin und hob im feuchten Sandboden ein kleines Loch aus. Und noch immer sprachen sie nicht. Sogar Jake saß still.
    Da waren all die Dinge, die Harry zurückgelassen hatte, die er über den Boden verteilt und in Schubfächern verstaut und im Schrank ganz nach hinten geschoben hatte. Seine Überraschungstüten, noch immer voller Lollis, die er mit einer solchen Willensanstrengung aufgespart hatte, sein rotes Skateboard aus Plastik mit durchgerosteten Rollen, seine alten schmutzigen Turnschuhe. Das waren jetzt alles nur Dinge. Sie waren zu nichts mehr nütze.
    Und als Miles an seinen Bruder dachte, wurde ihm klar, dass die sorgsam gesammelten Muscheln und Steine, das Treibholz und die Knochen das Wichtigste waren. Die Schätze, die Harry gefunden hatte, hatten jedes Fensterbrett, jeden Kaminsims und die ganze Veranda in Großvaters Haus gefüllt.
    Die schönsten hatte Miles mit nach Cloudy gebracht.
    Das versteinerte Seepferdchen, die Sepiaschale, in die Harry seinen Namen geschnitzt hatte, und das getrocknete und geschrumpfte Haifischei von Port Jackson. Obwohl Harry das eigentlich nicht selbst gefunden hatte. Nein, genau genommen nicht.
     
    Miles hatte die schmutzigen Lagen von verkrustetem Wachs auf seinem Surfbrett gekämmt, er hatte Linien hineingezogen, die ihm einen sicheren Stand geben würden. Harry war schuld daran, dass sie sich verspätet hatten, weil er nicht in dieses blöde Dinghy wollte, und jeden Moment konnte der Seewind auffrischen, und alles wäre hin.
    »Was soll ich finden?«, hatte Harry gefragt.
    Joe schüttelte wieder und wieder seinen Neoprenanzug aus. »Ähm … Eine Sepiaschale, ein schönes Stückchen Treibholz …«
    »Ein Haifischei«, sagte Miles.
    Es war ihm so herausgerutscht, und er wollte nicht aufsehen, denn er wusste, dass Joe ihn anstarren würde. Er wusste, er hätte es nicht sagen sollen. Harry würde überall nach einem Haifischei suchen, aber nie an den richtigen Stellen. Er würde keines finden.
    »Kommst du?«, sagte Joe. Er watete bereits ins Wasser, und Harry war schon losgegangen. Er war den Strand hinuntergerannt.
    Miles sah über das Wasser. Perfekte, drei Fuß hohe Wellen, die nur auf ihn warteten, glasklar, einsam und ohne Wind. Noch.
    Und er konnte nicht glauben, dass er diese astreinen Wellen für das hier aufgab, für Harry. Aber er würde es tun. Er hatte sein Brett schon in den Sand gelegt.
    Er sah Harry in die Dünen laufen. Herrgott, dort würde er nicht viel finden. Wenn es überhaupt irgendwo Haifischeier gab, dann wären sie oben in der Nähe von Whale Bone Point. Die Strömung trieb dort einiges an. Alles, was frei herumschwamm. Und es war gerade erst Vollmond gewesen. Es gab eine Chance.
    Eine kleine Chance.
     
    Miles goss Tee in den Deckel der Thermoskanne und wärmte seine Hände. Er war ewig draußen im Wasser gewesen. Es war immer noch genug Zeit geblieben. Jede Menge. Er hatte das Wasser ganz für sich allein gehabt.
    »Hast du da drüben schon nach einem Ei gesucht, Harry?« Miles zeigte auf die von Felsen umschlossenen Gezeitentümpel und das raue Riff von Whale Bone Point.
    Harry stopfte ein großes Stück von Tante Jeans Möhrenkuchen in sich hinein. »Ich habe überall gesucht«, sagte er, und etwas weißer, buttriger Zuckerguss blieb an seiner Lippe kleben.
    »Bist du sicher, dass du da drüben auch geguckt hast?«
    Harry starrte ihn an und biss dann ein weiteres Stück Kuchen ab. Miles ging zu seinem Handtuch und holte das Haifischei von Port Jackson hervor. Er warf es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher