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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein
Autoren: Manfred Böckl
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von ihm seine sterbliche Hülle noch einmal aus der Gruft auffahren ließen und sie vor die Residenz trugen, dem Wittelsbacher zur Mahnung!
    Doch selbst der Tote brachte den Gotteslästerlichen nicht zur Einsicht; vielmehr beging Ludwig ein weiteres Verbrechen, denn er ließ kürzlich erst die Münchner Universität schließen! Dies aber bedeutet – hört mir sehr gut zu! –, daß in der Hauptstadt jetzt keine Priester mehr ausgebildet werden können, und damit ist die geistliche Wohlfahrt unseres ganzen Volkes bedroht! Ja!« heulte der Prälat über seine nunmehr arg rumorende Gemeinde hin. »Jawohl, das ist es, was der Wittelsbacher euch antut! Um eure jenseitige Seligkeit möchte er euch bringen, Bayern wohl gar zu einem heidnischen Pfuhl machen! Schon hört man, daß er mit den Liberalistischen {7} paktiert, die aus Frankreich ins Land gekommen sind, um unsere Heimat zu versklaven, welche doch allein unter dem Mantel der Madonna gedeihen kann! Ketzer und Teufelsanbeter schart der Wittelsbacher um sich, weil ihn die Montez, die ganz und gar verworfene Schlange, dazu getrieben hat! Ist sie doch aus Weiberfleisch gemacht, worin der Belialische von Ewigkeit zu Ewigkeit seine Behausung findet – und läßt man es zu, daß sich der falsche König noch tiefer in ihren glitschigen Schlund verliert, dann wird es gar nicht mehr lange dauern, bis das Bayernland selbst untergeht!«
    Die metallbeschlagene Bibel hielt der Pfarrherr plötzlich in beiden Fäusten und schwang sie gleich einer Keule über die Köpfe der völlig verstörten Großhartpenninger hin. Auf die Knie stürzten sie, alle, ohne Ausnahme, und während sie buckelten und stöhnten, kam der Prälat allmählich zum Abschluß seiner rebellischen Ausführungen: »Da der Münchner durch die Schuld des Weibes ganz offensichtlich unfähig zur Ausübung der Regierungsgewalt geworden ist, muß sich das Volk in seiner Gesamtheit jetzt gegen die Hexe erheben! Dann wird der Verblendete entweder zu seinen Pflichten zurückfinden, oder aber er wird verjagt werden! Gott sei ihm gnädig; ihm, der das Gebot der Keuschheit gebrochen hat und deswegen zu einem wahren christlichen Leben schon lange nicht mehr imstande ist!«
    Krachend fiel der Foliant zurück auf die Kanzelbrüstung; nachdem der Knall verklungen war, raunzte der Geistliche noch: »Aber ach! Derjenige, dessen Namen ich lieber nicht noch einmal ausspreche, ist ja nicht allein der Todsünde verfallen! Vielmehr ist das schreckliche Übel der Sittenlosigkeit überall anzutreffen in Bayern! Nicht nur über der Hauptstadt lastet es wie ein stinkender grünlicher Schleim; auch im Bezirk Miesbach ist es zu Hause – und ebenso hier in Großhartpenning und den zugehörigen Gemeinden, wie mir nur allzu gut bekannt ist! Deswegen tut Buße Tag und Nacht, damit ihr gerettet werdet; ihr alle, die ihr vom Weib in Sünde empfangen und geboren seid! Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!«
    Der Prälat rumpelte von der Kanzel herunter, verschwand in der Sakristei. Die Dörfler wichen ihm aus, so gut sie konnten, drängten, ballten sich gleich darauf am rückwärtigen Portal. Die Fahnen, die barbarischen Banner einer immer noch mittelalterlichen Welt, blieben in den Halterungen seitlich der Kirchenbänke stecken.
    Draußen, vor der mit Eisenbuckeln beschlagenen Tür, stand noch immer die Hochschwangere. Aufgrund ihres schandbaren Zustandes war ihr der Aufenthalt im Inneren des sogenannten Gotteshauses nicht gestattet. Seit Jahrhunderten galt dieser blasphemische Brauch in Bayern, und nun, da die Meute der anderen Christen sich gegen sie heranwälzte, floh die ledige Maria Jennerwein hinüber zur Friedhofsmauer. Schwerfällig hastete sie dahin, konnte dennoch nicht verhindern, daß ihr verächtliche Rufe nachgellten; Beleidigungen, auch Zoten. Die Großhartpenninger, vom Kleriker gestachelt, hatten in der Gütlerstochter aus dem nahe gelegenen Haid das geeignete Opfer gefunden. Schon seit geraumer Zeit ging das so, immer dann, wenn Maria im Kirchdorf zu tun hatte, und auch heute wieder mußte die Siebzehn- oder Achtzehnjährige lange an der rauhen Mauer stehen und zittern, bis sich endlich der Strom der Scheinheiligen verlief, bis die Krähen zurückkehrten zwischen die Grabsteine.
    Die Blasse mit den häßlichen Striemen im Antlitz, die an diesem Tag bei der Hebamme gewesen war, wollte den Selbstgerechten soeben scheu und in gehörigem Abstand durchs Dorf folgen – als sie plötzlich ein Reißen tief
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