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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein
Autoren: Manfred Böckl
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Jahren, der noch am gleichen Tag gekrönt wurde – nicht mehr unter föhnigem Himmel freilich, sondern unter unvermittelt noch einmal frostbissig gewordenem Firmament.
     
    *
     
    Auf dem Strohsack im Haider Gütlerhaus lagen Wehenschweiß und klamme Kälte im Widerstreit. »Pressen!« raunte die Hebamme über die bis zum Platzen angespannte Bauchdecke der Maria Jennerwein hin. »Auch wenn’s so hart ist, als ob du einen Stein scheißen müßtest! Pressen, nicht aufgeben! Es wird schon! Gleich kommt’s!«
    Die Gebärende wand sich mit zuckenden Fersen auf dem feuchten Rupfen. Das Fruchtwasser – war es wirklich schon vor Stunden abgegangen? – hatte sich tief in den Bettsack gesaugt. Einmal mehr verursachte der fischige Geruch der Siebzehn-, Achtzehnjährigen ein Würgen. Dies und die immer noch anhaltende Wehe hämmerten ihr jäh einen schwarzen Schleier, lichtblitzdurchzuckt, vors Antlitz. Die Umrisse der Hebamme verflatterten. Auch der Schatten der Mutter, weiter hinten in der Stube, beim Feuerplatz, wo es dampfschwadig aus dem Kessel quoll. Dumpf, irgendwie choralartig wurden die Geräusche; selbst das Raunzen und Knurren des Alten, des Schlägers, der drüben rauschig vor der Schnapsflasche hockte, verflachte.
    Die Hiebe freilich blieben der plötzlich aus der Realität Weggescheuchten auch in der Ohnmacht, im Schmerzdelirium gegenwärtig; die Prügel, die sie während ihrer Schwangerschaft ertragen hatte. Das Keimen in ihr und der zudreschende Vater wurden Maria Jennerwein im zeitlichen Zurückschauern eins. Unter der harschen Glocke des Hasses mußte das Wurm gedeihen. Während sich ihr das neue Leben inwendig ins Fleisch krallte, fetzten von außen die Schläge gegen ihre zerbrechliche Hauthülle heran. Und die Schimpfworte dazu: »Hurensau! Matz! Mistviech, elendiges!« Unaufhaltsam, ohne Unterlaß, von dem Tag an, an dem sie ihre Schande nicht länger hatte einschnüren können. Die Fotzen ins Gesicht, die hornigen Klauen, die sie beutelten; die heimlichen Knierempler auch, tückisch gegen ihren sündigen Unterleib gerichtet. Der Alte – »Wie sollen wir’s durchfüttern?! Sind selbst arm genug dran! Haben selbst nichts zu fressen!« – hatte es ihr wegprügeln, es aus ihr herausdreschen wollen.
    Ist ihm aber nicht gelungen, wummerte es ihr durchs mentale Weggleiten. Auch wenn er’s gern hinterm Stall verscharrt hätte. Hinterm Stall, wo sie zum ersten Mal den Verführer getroffen hatte, den Feschen mit der Spielhahnfeder am Hut. Über den Kartoffelacker war er herangekommen zum geduckten, windschiefen Haus; unterm Schindeldach hatten sie dann beide gestanden, harzig hatte das Holz gerochen in der Bruthitze. Und die verlockenden Worte dazu, die Versprechungen, die Verheißungen. Daß sie sein Schatz werden solle, seine einzige. Und auf den Händen wolle er sie tragen, sich im Großhartpenninger Gäu ansässig machen…
    Auf einmal flackerte es hell in ihrem Delirium, zumindest ein paar Herzschläge lang. Sie hatte es ihm ja glauben wollen – und vor allem, daß er sie liebte. So war ihnen die Nische unterm Stalldach zum Refugium geworden, zwei-, dreimal, immer nächtens, bis sie sich dann selbst nicht mehr zurückzuhalten, ihn nicht mehr abzuhalten vermochte. Ins duftende Heubett hinaus also, sich in den Schober gewühlt, vor verhaltener Lust wimmernd schon; vor verhaltener Lust und unterschwelliger Furcht. Und dann das Reißen zwischen den Schenkeln; das Reißen erst und gleich darauf das Unbeschreibliche; das Glück; der Himmel, der heimliche immerhin.
    Hitzige Sommertage, voller Wonne jetzt jede Nacht. Im Körperwiegen die Träume, die lichten Zukunftsvisionen, das gemeinsame Dach. Dann der Hieb, der erste. Im September, nachdem ihre Blutung schon zweimal ausgeblieben war: »Bist du wahnsinnig geworden, du Matz?! Ein Kind?! Und das mir?! Du Hur’! Wo ich mir erst was schaffen will! Wo ich noch zehn oder zwanzig Jahre lang der Knecht sein muß, ehe ich mir vielleicht ein Gütl…«
    Das von ihm! Von IHM! Und ihr Schreien, ihr Betteln in seine auf einmal so harte Haut hinein. Und unter der eigenen dünnen Haut das Balg, das Wurm. Und der Herbst dann – und er fort. Auf Nimmerwiedersehen. Ohne Abschied. Einfach verschwunden, der Feigling, verdünnisiert. Dahin, dorthin. Was wußte sie denn schon?! Nur daß das Balg sich in ihr festgekrallt hatte, das Wurm, das wußte sie jetzt noch. Und das war aufgequollen in ihr, und sie hatte es liebhaben müssen, ob sie wollte oder nicht; das war ja doch,
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