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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein
Autoren: Manfred Böckl
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alles. Lieber vom Bauern geprügelt, der Sau, dachte er sich rotzend, als von ihr. Aber sagen konnte er ihr das auch nicht. Weil sie ja eh schon immer weniger und dünner wurde im Taglohn, im verfluchten.
    Sonntags dann immer zu den ganz Fetten. Darauf bestanden die Protzbauern; auf dem Kirchgang. Im Armesünderbänklein kniegelte der Bankert mit der Marei. Vor dem Altar oder oben auf der Kanzel die feisten Hängebacken. Die wie niemand sonst zischeln und schimpfen konnten. Von dem, was sie aus sich bellten und raunzten, begriff der Girgl wenig. Bloß Angst machten sie ihm; eine Höllenangst. Mit ihren Geschwänzten und Hornigen und Blutigen und Durchmesserten und Gerösteten; mit all den geschissenen Heiligen und Märtyrern halt. Wieselflink war er jedesmal wieder draußen, sobald der Böse im Meßgewand es gestattete. Und dann klang ihm bestimmt wieder der Bankert im Ohr; daß man es von einem wie ihm halt nicht anders erwarten könne, daß er ein Lump sei, eine Sünd’, ein Bengel ohne Vater.
    So ging das Frühjahr hin, kam der Sommer; die armseligen Münzen im Sacktuch der Marei vermehrten sich außerordentlich zäh. In Föching und dann in Valley heuten sie jetzt; der Staub biß dem Girgl in die Schleimhäute, einmal begann er zu fiebern. Drei oder vier Tage, später wußte er dies nicht mehr so genau, lag er mutterseelenallein in einer stickigen Knechtskammer. Hatte Alpträume und erlebte noch einmal all die Schläge, die er seit dem Einsetzen seines Denkens bekommen hatte. Er erlebte sie im Bündel, wie einen Hagelsturm. Und hörte dazu das Keifen: »Bankert« und »Sünd’«.
    Dann gelang es ihm, ein Ratz {12} zu werden. Ein Pelzteufel mit stachligen, fast eisernen Grannen. Die stellte er auf gegen die Welt; allein gegen die Marei nicht und nicht gegen die, welche ihn irgendwann einmal großherzig gefüttert hatten. Aber gegenüber den anderen igelte er sich ein. War ein Ratzenigel jetzt; ein kugelrunder, gefährlicher Stichelhaufen. Als die Mutter am dritten oder vierten Abend zu ihm kam, fand sie ihn fieberfrei, bloß noch schwach und verschwitzt. Der Dreijährige hatte die Krankheit weggeigelt; er hatte es geschafft, weil sie nicht vom Heustaub allein gekommen war.
    Das Heu aber buckelte sich zu dicken Schobern auf und wurde in die Scheuern eingefahren; überall im Oberland um München, unten in Niederbayern auch. Wenig später sensten die Marei und all die anderen Hilfskräfte das Korn. Golden glühte es; allüberall die Spelzen, die den Segen umhüllten. Den Reichtum der Protzbauern konnte es jetzt wieder mehren. Noch mehr den der Grundherren, der adligen und kirchlichen. Im Sacktuch der Maria Jennerwein freilich klirrte es noch immer kläglich dünn. Obwohl jetzt die Zeit gekommen war, daß sie mit dem Vaterlosen heimkehrte nach Haid.
     
    *
     
    Heimkehr und Heimat – das biß sich. Der Alte, schon wieder im Suff, säckelte die Tochter grunzend aus. Riß sich die magere Ausbeute der Fronarbeit unter den Nagel. Schickte den Girgl um Schnaps zum Wirt. Sein Weib, eben noch in der Wiedersehensfreude, heulte. Als die Marei, härter geworden in der Fremde, aufzubegehren versuchte, beschimpfte er sie wie gehabt: »Hurenmatz, verreckte!«
    Bis in die Nacht hinein hockte er dann unterm Kruzifix. Becherte sich ins Delirium und fixierte den Bankert mit blutunterlaufenen Augen. Nichts hatte sich geändert durch die Flucht, durch den Versuch der Maria Jennerwein, als Tagelöhnerin zum Unterhalt der Familie beizutragen. Weil es gar keine Familie gab zu Haid. Weil der Mann, der Alkoholiker, nach wie vor das nicht hochkommen ließ, was die Frauen, das Kind auch, einzubringen gehabt hätten.
    Girgl, als er vier, dann fünf Jahre alt wurde, spürte dies immer deutlicher. Das Bild des Ratzenigels blieb ihm deswegen gegenwärtig. Wann immer es nötig wurde, stellte er die Grannen, die Stacheln auf. Ließ den Alten schon bald gar nicht mehr an sich heran. Bockte, trat, biß, wenn der es in seinen sentimentalen Rauschphasen versuchte. Schlug der Trinker unversehens zu, beutelte sich der Bub bald bloß noch ab. Dann aber, jäh, konnte er hinausrennen, durch den Weiler fetzen, zum Anger. Dort gründelten die Karpfen im Weiher, schnatterten die Gänse, zogen die Enten ums Karree. Aber auch Treffpunkt der anderen Kinder war der Anger, und die griff der Bankert jetzt immer häufiger wie irrsinnig an. Die größeren vor allem, die Bauernsöhne. Sprang ihnen ins Genick, schopfte sie, kratzte. Kämpfte tückisch; wenn’s sein
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