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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders
Autoren: Franz Kabelka
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Wem ist geholfen, wenn du der Polizei meldest, was geschehen ist. Davon wird er nicht wieder lebendig. Und du ? Landest vor Gericht. Totschlag, mindestens! Und selbst wenn sie deiner Version glauben: Es ist alles beim Teufel. Der gute Ruf, die gesamte Existenz. Die Schulden wachsen dir jetzt schon über den Kopf, die Rechtsanwaltskosten werden dir den Rest geben. Und was, wenn er das Testament schon umgeschrieben hat, zu ihren Gunsten?
    Am Ende schmeißt mich die Kranzl aus meiner eigenen Wohnung!
    Ich muss jemanden anrufen. Aber wen? Wen kannst du anrufen, wenn es um Leben und Tod geht? Um mein Leben, und um seinen Tod.
    Nummer eins-vier-vier.
    Der Notruf.
    Die Rettung.
    Bitte, ich möchte einen Unfall melden! … Mein Mann hat gerade angerufen … Etwas muss ihn getroffen haben am Kopf, er hat ganz schrecklich gestöhnt … Auf dem Föhrenbühel in der Nähe der Sautränke, ja, das hat er noch sagen können, dann ist die Verbindung abgerissen … Nein, das weiß ich nicht, aber Sie müssen ihm helfen! Der Sturm wird immer schlimmer …
    Ja … nein … ja … ja …
    Und Sie fahren wirklich gleich?
    Ganz sicher?
    Danke!

1. Mai 2010
    Im Nachhinein bildet man sich ein, alles besser zu verstehen. Sieht Zusammenhänge, wo keine sind und nie welche waren.
    Umgekehrt fällt es schwer, eins und eins zusammenzuzählen, solange die Zeit nicht reif ist ...
    Nicht reif!
    Meine Reifeprüfung hat an keiner Schule stattgefunden, sie wurde mir von der Wirklichkeit abgenommen. Und es dauerte, sieben lange Jahre dauerte es, bis ich zu dem fähig war, was sie mir angedichtet hatten.
    Sie haben alle seine Lügen geschluckt. Weil er, trotz allem, einer der ihren war. Ein rechtes Schlitzohr, aber allemal glaubwürdiger als asiatische Schlitzaugen. Was hat man mir nicht alles zugetraut: Diebstahl, Stalking, Beschädigung von Lehrereigentum ... Doch keiner hat Schlitzauge zugetraut, dass es gerissener sein könnte als Schlitzohr. Joys Terroranrufe – die Lüge, die zur Prophezeiung wird. Wie genervt er in den Hörer bellte: Ich weiß genau, wer Sie sind! Natürlich hatte er keine Ahnung. Seine ehemalige Schülerin hätte er nie per Sie angesprochen.
    Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, als die Todesanzeige in der Zeitung erschien: Otto Bell, AHS-Professor in Frühpension ... völlig überraschend von uns gegangen ... Es trauern seine Gattin Adele, sein Bruder Josef ...
    Sogar ein Foto von ihm hatte ich aufgetrieben, und einen passenden Spruch: Der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges. Die hundertachtzig Euro habe ich gerne ausgelegt, natürlich in bar, eine Kreditkartennummer hätte man zurückverfolgen können. Der Name, mit dem ich mich in der Annoncenabteilung vorstellte, war ebenso falsch wie mein Haar. Selbst wenn er sich bei der Zeitung erkundigt haben sollte, wer diese Anzeige in Auftrag gab – niemand hätte mich identifiziert.
    So wie er mich nicht erkannt hat, als er ins Studio kam. Als wir uns das erste Mal Auge in Auge gegenüberstanden, zitterte ich ein wenig. Aber meine Angst war unnötig. Phantastisch, was die kosmetische Chirurgie vollbringt heutzutage! Wahre Wunder.
    Die einzigen, die es noch gibt …
    Die Operation hat mich verändert, äußerlich und innerlich. Nach dem Sprung vom Balkon war von meinem Gesicht nur mehr eine blutige Masse übrig gewesen. Als ich aus der Narkose erwachte, hatte ich statt einer thailändischen Stupsnase eine lange schmale. Auch Kinn und Wangen waren nicht wiederzuerkennen. Im Spiegel schaute mich eine Fremde an. Eine, die sich in ihrer Verzweiflung vom Balkon gestürzt hatte und als Neugeborene zurückkam.
    Eine Reinkarnation im selben Leben.
    Bevor ich im New Life anfing, ließ ich mir die Haare kurz schneiden und blau färben. Meine blaue Periode. Mit Picassos Friedenstaube als Tattoo auf meinem rechten Oberarm.
    Dann, endlich, der ultimative Befreiungsschlag.
    Geduld, Joy, Geduld, hatte ich mich ermahnt. Irgendeinmal bietet sich die Gelegenheit. Irgendeinmal wirst du allein sein mit ihm. Und ich wurde belohnt für mein Ausharren. Ein elektrischer Schlag mit dem Taser ist sauber, sauber wie der Strom aus der Dose. Keine Spuren. Weder an Bells Leiche, noch was das Motiv betrifft.
    Ich bereue nichts. Rache ist immer auch ein Kahlschlag, ein Kahlschlag in der Seele des Rächers, heißt es. Mag sein. Aber jeder Kahlschlag bringt auch mehr Raum, freiere Sicht. Auf das, was dahintersteckt.
    Verglichen mit dem, was die meisten Menschen um sich herum
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