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Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc

Titel: Jeffery Deaver - Der Insektensammler1.doc
Autoren: mulder43
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Er gehörte von Haus aus zu den Letzteren -Antworten auf kriminalistische Fragen zu finden war sein Ziel, und auf Lösungen zu stoßen bereitete ihm weitaus mehr Vergnügen als die Suche danach. Doch nun, da er auf dem Rücken lag und die Chromhaube der Operationslampe betrachtete, empfand er das genaue Gegenteil. Nur zu gern hätte er diesen Zustand weiter ausgekostet - schwerelos und schwebend, zwischen Hoffnung und Erwarten. Die Anästhesistin, eine Inderin, kam herein und führte eine Nadel in seinen Arm ein, bereitete eine Injektionslösung vor und setzte sie auf den mit der Nadel verbundenen Schlauch auf. Sie stellte sich sehr geschickt an.
    »Sind Sie bereit zu einem Nickerchen?«, fragte sie mit einem leichten, melodiösen Akzent.
    »So bereit wie nur möglich«, nuschelte er.
    »Wenn ich Ihnen das hier einspritze, werde ich Sie darum bitten, von hundert rückwärts zu zählen. Sie werden weg sein, ehe Sie sich versehen.«
    »Wo steht der Rekord?«, fragte Rhyme scherzhaft.
    »Beim Abzählen? Ein Mann, der viel schwerer als Sie war, ist mal bis neunundsiebzig gekommen, bevor er einschlief.«
    »Ich will sehen, ob ich bis fünfundsiebzig komme.«
    »Wenn Sie das schaffen, wird dieser OP nach Ihnen benannt«, erwiderte sie ungerührt. Er sah zu, als sie eine mit klarer Flüssigkeit gefüllte Ampulle in den Schlauch einspritzte. Sie wandte sich ab und schaute auf den Monitor. Rhyme fing an zu zählen.
    »Einhundert, neunundneunzig, achtundneunzig, siebenundneunzig...« Die andere Schwester, die ihn namentlich angesprochen hatte, kauerte sich neben ihn.
    »Hallo.« Ein seltsamer Unterton. Er warf ihr einen Blick zu.
    »Ich bin Lydia Johansson. Erinnern Sie sich noch an mich?«, fuhr sie fort.
    »Jim Bell hat mich gebeten, Ihnen Lebewohl zu sagen«, fügte sie raunend hinzu, bevor er etwas erwidern konnte.
    »Nein!«, murmelte er.
    »Ist schon gut«, sagte die Anästhesistin, den Blick auf den Monitor gewandt.
    »Ganz ruhig. Alles läuft bestens.«
    »Haben Sie sich nicht gefragt, wie Jim und Steve Farr von den Krebspatienten erfahren haben?«, flüsterte Lydia ihm ins Ohr.
    »Nein! Aufhören!«
    »Ich habe Jim ihre Namen genannt, damit Culbeau dafür sorgen konnte, dass sie einen Unfall hatten. Jim Bell ist mein Freund. Wir gehen schon seit Jahren miteinander. Er hat mich nach Blackwater Landing geschickt, nachdem Mary Beth entführt worden ist. Ich bin an dem Morgen hingegangen, um Blumen niederzulegen und mich ein bisschen dort rumzutreiben, falls Garrett auftauchen sollte. Ich sollte mit ihm reden und ihn hinhalten, damit Jesse und Ed Schaeffer ihn sich schnappen konnten - Ed war auch einer von uns. Danach wollten wir ihn dazu zwingen, dass er uns verrät, wo Mary Beth steckt. Aber niemand hat daran gedacht, dass er mich ebenfalls entführt.« O ja, in dieser Stadt gibt's schon ein paar Hornissen...
    »Halt!«, rief Rhyme. Doch er brachte kaum mehr als ein Nuscheln hervor.
    »Schon fünfzehn Sekunden«, sagte die Anästhesistin.
    »Vielleicht brechen Sie diesen Rekord ja doch noch. Zählen Sie mit? Ich höre Sie nicht zählen.«
    »Ich bleibe bei Ihnen«, sagte Lydia und streichelte Rhymes Stirn.
    »Bei einer Operation kann allerhand schief gehen, wissen Sie. Ein Knick im Sauerstoffschlauch, ein falsches Narkotikum. Wer weiß? Sie könnten dabei umkommen, vielleicht auch ins Koma fallen. Aber aussagen werden Sie mit Sicherheit nicht.«
    »Moment«, japste Rhyme.
    »Moment!«
    »Ha«, sagte die Anästhesistin lachend, ohne den Blick vom Monitor zu wenden.
    »Zwanzig Sekunden. Ich glaube, Sie schaffen es, Mr. Rhyme.«
    »Nein, das glaube ich nicht«, flüsterte Lydia und stand langsam auf, als der Operationssaal vor Rhymes Augen erst grau und dann schwarz wurde.

... Sechsundvierzig
    Das hier ist wirklich einer der schönsten Flecken auf der Welt, dachte Amelia Sachs. Für einen Friedhof. Von dem auf der Kuppe eines sanften Hügels gelegenen Tanner's Corner Memorial Garden hatte man freie Sicht auf den Paquenoke, der sich in ein paar Meilen Entfernung dahinwand. Von hier, vom Friedhof selbst, war der Ausblick noch reizvoller als von der Straße aus, wo sie ihn auf der Herfahrt von Avery zum ersten Mal genossen hatte. Sie blinzelte in die Sonne und bemerkte die glitzernden Fluten des Blackwater Canal, der in den Fluss mündete. Von hier aus wirkte sogar das dunkle, verschmutzte Wasser, das so viel Leid über die Leute hier gebracht hatte, malerisch und verlockend. Sie stand in einer kleinen Gruppe von Menschen,
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