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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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Leute ist es ihm manchmal peinlich.
    Es rührt sich nichts im Treppenhaus, und Borkhausen fängt an, eilig, aber leise die Stufen hochzusteigen. Aus der Wohnung der Persickes schallt wüster Lärm, Gejohle und Gelächter, die feiern schon mal wieder. An so 'ne wie die Persickes müßte er mal Anschluß bekommen, die haben die richtigen Verbindungen, dann ginge es auch mit ihm
    voran. Aber solche sehen einen Gelegenheitsspitzel, wie er ist, natürlich gar nicht an; besonders die Jungen in der SS und der Baldur sind unglaublich hochnäsig. Der Alte ist schon besser, schenkt ihm manchmal fünf Mark, wenn er angesoffen ist ...
    In der Wohnung der Quangels ist alles still, und, eine Treppe höher, bei der Rosenthal hört er auch keinen Laut, so lange er auch das Ohr gegen die Tür legt. So klingelt er rasch und geschäftsmäßig, wie es etwa der Briefbote täte, der es eilig hat, weiterzukommen.
    Aber nichts rührt sich, und nach ein, zwei Minuten Warten entschließt sich Borkhausen zu einem zweiten und später zu einem dritten Klingeln. Dazwischen lauscht er, hört nichts, flüstert aber doch durch das Schlüsselloch:
    «Frau Rosenthal, machen Sie doch auf! Ich bring Ihnen Nachricht von Ihrem Mann! Schnell, ehe mich einer sieht! Frau Rosenthal, ich hör Sie doch, machen Sie schon auf!»
    Dazwischen klingelt er immer wieder, aber alles ganz erfolglos. Schließlich packt ihn die Wut. Er kann doch nicht auch hier wieder ganz erfolglos abziehen, mit der Otti gibt es einen Heidenstunk. Die olle Jüdsche soll rausgeben, was sie ihm gestohlen hat! Er klingelt rasend, und dazwischen schreit er am Schlüsselloch: «Mach uff, du olle
    Judensau, oder ick lackier dir die Fresse, daß du nich mehr aus den Augen kieken kannst! Ich bringe dich heute noch ins KZ, wenn du nicht aufmachst, verdammte Jüdsche!»
    Wenn er jetzt bloß Benzin bei sich hätte, er steckte dem Aas auf der Stelle die Tür an!
    Aber plötzlich wird Borkhausen ganz still. Er hat tiefer unten eine Wohnungstür gehen gehört, er drückt sich eng an die Wand. Keiner darf ihn hier sehen. Natürlich wollen die auf die Straße, er muß jetzt bloß stille sein.
    Doch der Schritt geht treppauf, unaufhaltsam, wenn auch langsam und stolpernd. Es ist einer von den Persik-kes, und ein besoffener Persicke, das ist grade, was dem Borkhausen jetzt gefehlt hat. Natürlich will der auf den Boden, aber der Boden ist durch eine verschlossene Eisentür gesichert, da gibt's kein Versteck. Nun ist nur noch die einzige Hoffnung, daß der Betrunkene, ohne ihn zu merken, an ihm vorübergeht; wenn's der alte Persicke ist, kann's passieren.
    Aber es ist nicht der alte Persicke, es ist der ekelhafte Bengel, der Bruno oder Baldur, der schlimmste von der ganzen Bande! Ewig läuft er in seiner HJ-Führer-Uniform herum und erwartet, daß man ihn zuerst grüßt, obwohl er doch ein reiner Garnichts ist. Langsam kommt der Baldur die letzten Treppenstufen hoch, er hält sich am
    Treppengeländer fest, so angetrunken wie er ist. Er hat trotz seiner glasigen Augen den Borkhausen da an der Wand längst gesehen, er spricht ihn aber erst an, als er direkt vor ihm steht: «Was schnüffelst du denn hier vorne im Hause herum? Ich will das nicht haben, mach, daß du in den Keller zu deiner Nutte kommst! Marsch, hau ab!»
    Und er hebt den Fuß mit dem genagelten Schuh, setzt ihn aber gleich wieder hin: zum Fußtrittgeben steht er zu wacklig auf den Füßen.
    Einem Ton wie dem eben ist der Borkhausen einfach nicht gewachsen. Wenn er so angeschnauzt wird, kriecht er ganz in sich zusammen, hat bloß Angst. Er flüstert de-mütig: «Entschuldigen Sie bloß, Herr Persicke! Wollte mir nur mal 'nen kleinen Spaß mit der ollen Jüdschen machen!»
    Der Baldur legt vor angestrengtem Nachdenken die Stirn in Falten. Nach einer Weile sagt er: «Klauen wollt'ste, du Aas, das ist dein Spaß mit der ollen Jüdschen.
    Na, geh voran!»
    So grob die Worte auch waren, so klangen sie doch zweifelsfrei wohlwollender; für so was hatte Borkhausen ein feines Ohr. So sagt er denn mit einem für den Witz um Entschuldigung bittenden Lächeln: «Ich klau doch nicht, Herr Persicke, ick organisier bloß manchmal ein bißchen!»
    Baldur Persicke erwidert das Lächeln nicht. Mit solchen
    Leuten macht er sich nicht gemein, wenn sie auch manchmal nützlich sein können. Er klettert vorsichtig hinter Borkhausen die Treppe hinunter.
    Beide Männer sind so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie darauf nicht achthaben, daß die Flurtür bei den
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