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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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Jablonskistraße hinausgetreten und hat vor der Haustür herumstehend den Emil Borkhausen getroffen. Es schien der einzige Beruf Emil Borkhausens zu sein, immer irgendwo rumzustehen, wo es was zu gaffen oder zu hören gab. Daran hatte auch der Krieg nichts geändert, der doch überall mit Dienstverpflichtungen und Arbeitszwang vorgegangen war: Emil Borkhausen stand weiter rum.
    Er stand da, eine lange, dürre Gestalt in einem abgetragenen Anzug, und sah verdrossen mit seinem farblosen Gesicht in die um diese Stunde fast menschenleere Jablonskistraße. Als er Quangels ansichtig wurde, kam Bewegung in ihn, er trat auf ihn zu und bot ihm die Hand.
    «Wo gehen Sie denn jetzt hin, Quangel?» fragte er. «Das ist doch noch nicht Ihre Zeit für die Fabrik?»
    Quangel übersah die Hand des andern und murmelte fast unverständlich: «Eiliger Weg!»
    Dabei ging er schon weiter, nach der Prenzlauer Allee zu.
    Dieser lästige Schwätzer hatte ihm gerade noch gefehlt!
    So leicht ließ sich der aber nicht abschütteln. Er lachte meckernd und rief: «Da haben wir ja denselben Weg, Quangel!» Und als der andere, stur geradeaus starrend, weiterschritt, setzte er hinzu: «Der Doktor hat mir nämlich gegen meine Hartleibigkeit viel Bewegung verordnet, und allein rumlaufen, das langweilt mich!»
    Er fing nun an, genau zu schildern, was er alles schon gegen seine Hartleibigkeit getan hatte. Quangel hörte gar nicht hin. Ihn beschäftigten zwei Gedanken, und der eine verdrängte immer wieder den andern: daß er keinen Sohn mehr hatte und daß Anna gesagt hatte: Du und dein Führer. Quangel gab es sich zu: er hatte den Jungen nie geliebt, wie ein Vater seinen Sohn zu lieben hat. Von der Geburt an hatte er das Kind nur als Störer seiner Ruhe und seiner Beziehungen zu Anna empfunden. Wenn er jetzt doch Schmerz fühlte, so darum, weil er mit Unruhe an Anna dachte, wie sie diesen Tod aufnehmen, was dadurch alles geändert werden würde. Hatte doch Anna schon zu ihm gesagt: Du und dein Führer!
    Es stimmte nicht. Hitler war nicht sein Führer, oder doch nicht mehr sein Führer, als er Annas Führer war. Sie waren sich immer einig gewesen, als er mit seiner kleinen Tischlerwerkstatt verkracht war, daß der Führer den Kar-ren aus dem Dreck gerissen hatte. Nach vier Jahren Arbeitslosigkeit war er 1934 Werkmeister in der großen Möbelfabrik geworden und brachte jetzt alle Wochen seine vierzig Mark nach Hause. Damit kamen sie gut aus.
    Aber in die Partei waren sie darum doch nicht getreten.
    Einmal reute sie der Parteibeitrag, man mußte schon so an allen Ecken und Enden bluten, für das WHW, für alle möglichen Sammlungen, für die Arbeitsfront. Ja, in der Arbeitsfront hatten sie ihm in der Fabrik auch ein Ämt-chen aufgehuckt, und gerade das war der andere Grund, warum sie beide nicht in die Partei eingetreten waren.
    Denn er sah es bei jeder Gelegenheit, wie sie ständig einen Unterschied zwischen Volksgenossen und Parteigenossen machten. Auch der schlechteste Parteigenosse war denen noch mehr wert als der beste Volksgenosse. War man einmal in der Partei, so konnte man sich alles erlauben: so leicht passierte einem nichts. Das nannten sie Treue um Treue.
    Er aber, der Werkmeister Otto Quangel, war für Gerechtigkeit. Jeder Mensch war ihm ein Mensch, und ob er in der Partei drin war, das hatte damit gar nichts zu tun.
    Wenn er in der Werkstatt immer wieder erleben mußte, daß dem einen ein kleiner Fehler am Werkstück schwer angekreidet wurde und daß der andere Pfusch über Pfusch abliefern durfte, so empörte ihn das stets von neuem. Er setzte die Zähne auf die Unterlippe und nagte wütend an ihr - wenn er's gekonnt hätte, er wäre auch diese Pöstchen in der DAF längst los gewesen!
    Die Anna wußte das gut, darum hätte sie das nie sagen dürfen, dies Wort: Du und dein Führer! Die Anna hatte nicht gemußt wie er. Gott ja, er verstand ihre Einfachheit, ihre Demut und wie sie nun so plötzlich anders geworden war. Zeit ihres Lebens war sie Dienstmädchen gewesen, erst auf dem Lande, dann hier in der Stadt, zeit ihres Lebens hatte sie Trab laufen müssen und war kommandiert worden. In ihrer Ehe hatte sie auch nicht viel zu sagen gehabt, nicht etwa, weil er sie viel kommandiert hätte, sondern weil sich um ihn, den Geldverdiener, nun einmal alles drehen mußte.
    Aber nun ist der Tod von Ottochen gekommen, und mit Beunruhigung spürt Otto Quangel, wie tief sie davon aufgewühlt ist.
    Er sieht ihr krankes, gelblichweißes Gesicht vor sich,
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