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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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drehte sie sich wieder nach der Nähmaschine und strich die Schnitzelchen des verhängnisvollen Feldpostbriefes zusammen. Sie versuchte, sie aneinander-zupassen, aber sie sah schnell, daß das jetzt zu lange dauern würde, sie mußte vor allen Dingen sein Essen fertig-machen. So tat sie denn das Zerrissene sorgfältig in den Briefumschlag, den sie in ihr Gesangbuch legte. Am Nachmittag, wenn Otto wirklich fort war, würde sie die Zeit haben, die Schnitzel zu ordnen und aufzukleben.
    Wenn es auch alles dumme Lügen, gemeine Lügen waren, es war doch das Letzte von Ottochen! Sie würde es trotzdem aufbewahren und der Trudel zeigen. Vielleicht würde sie dann weinen können, jetzt stand es noch wie Flammen in ihrem Herzen. Es würde gut sein, weinen zu können!
    Sie schüttelte zornig den Kopf und ging an die Kochmaschine.
    Was Baldur Persicke zu sagen hatte
    Als Otto Quangel an Persickes Wohnung vorüberging, scholl grade beifälliges Geheul daraus, untermischt mit
    «Siegheil»-Geschrei. Eiliger ging Quangel weiter, bloß um keinen von der Gesellschaft treffen zu müssen. Sie wohnten schon zehn Jahre im gleichen Haus, aber Quangel hatte von jeher alles Zusammentreffen mit den Persickes zu vermeiden gesucht, schon damals, als der noch ein kleiner, ziemlich verkrachter Budiker gewesen war. Jetzt waren die Persickes große Leute geworden, der Alte hatte alle möglichen Ämter bei der Partei, und die beiden ältesten Söhne waren bei der SS; Geld schien bei denen keine Rolle zu spielen.
    Um so mehr Grund, sich bei ihnen vorzusehen, denn al-le, die so standen, mußten sich bei der Partei in Beliebtheit halten, und das konnten sie nur, wenn sie etwas für die Partei taten. Etwas tun, das hieß aber, andere angeben, zum Beispiel melden: Der und der hat einen ausländischen Sender abgehört. Quangel hätte darum am liebsten schon lange die Radios aus Ottos Kammer verpackt in den Keller gestellt. Man konnte nicht vorsichtig genug sein in diesen
    Zeiten, wo jeder der Spion des andern war, die Gestapo ihre Hand über alle hielt, das KZ in Sachsenhausen immer größer wurde. Er, Quangel, brauchte kein Radio, aber Anna war gegen das Fortschaffen gewesen. Sie meinte, das alte Sprichwort gelte noch: Ein reines Gewissen ist ein gutes Ruhekissen. Wo so was alles doch schon längst nicht galt, wenn es je gestimmt hatte.
    Mit solchen Gedanken ging also Quangel eiliger die Treppen hinab und über den Hof auf die Straße.
    Bei den Persickes aber haben sie darum so geschrien, weil das Licht der Familie, der Bruno, der jetzt Schirachs wegen Baldur heißt und, wenn's Vater mit seinen Beziehungen schafft, sogar auf eine Napola soll - weil also der Baldur im «Völkischen Beobachter» ein Bild gefunden hat.
    Auf dem Bild sind der Führer und der Reichsmarschall Göring zu sehen, und unter dem Bilde steht: «Beim Empfang der Nachricht von der Kapitulation Frankreichs». So sehen die beiden auf dem Bilde auch aus: der Göring lacht über sein ganzes feistes Gesicht, und der Führer klatscht sich auf die Schenkel vor Vergnügen.
    Die Persickes haben sich auch wie die auf dem Bilde gefreut und gelacht, der Baldur aber hat gefragt: «Na, seht ihr denn nichts Besonderes auf dem Bilde?»
    Sie starren ihn abwartend an, so völlig sind sie von der geistigen Überlegenheit dieses Sechzehnjährigen überzeugt, daß keiner auch nur eine Vermutung laut werden läßt.
    «Na!» sagt der Baldur. «Überlegt doch mal! Das Bild ist doch von 'nem Pressefotografen gemacht worden. Hat der wohl dabeigestanden, wie die Nachricht von der Kapitulation gekommen ist? Sie muß doch auch durchs Telefon oder durch 'nen Kurier oder vielleicht gar durch einen französischen General gekommen sein, und von alledem sieht man auf dem Bilde gar nichts. Die beiden stehen hier ganz allein im Garten und freuen sich ...»
    Baldurs Eltern und Geschwister sitzen noch immer stumm da und starren ihn an. Ihre Gesichter sind vom gespannten Aufmerken fast dumm. Der alte Persicke würde sich am liebsten schon wieder einen neuen Schnaps genehmigen, aber das wagt er nicht, solange der Baldur spricht. Er weiß aus Erfahrung, der Baldur kann sehr unangenehm werden, wenn man seinen politischen Vorträgen nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt.
    Der Sohn fährt unterdes fort: «Also, das Bild ist gestellt, es ist gar nicht beim Eintreffen der Nachricht von der Kapitulation gemacht worden, sondern vorher. Und nun seht euch an, wie sich der Führer freut! Der denkt jetzt schon längst an England,
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