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Jeder kann mal Robin sein

Jeder kann mal Robin sein

Titel: Jeder kann mal Robin sein
Autoren: Lotte Betke
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da werden kann.«
    Max sah Oma ängstlich an. »Aber bei uns wirst du doch nicht wütend?«
    »Bestimmt nicht.« Oma strich ihm rasch über den Kopf. »Es sei denn, ich höre, daß Kinder schlecht behandelt werden.« Sie ließ sich auf die
    Küchenbank fallen. »Ich höre immer noch, wie jämmerlich das Kind nebenan geweint hat.«
    »Mach man nicht so ’n Gesicht, Oma.« Max griff nach Omas Hand. »Komm, wir sehen jetzt fern! Das dürfen wir freitags immer.«
    »Ja, schnell, Oma!« Tine lief voraus ins Wohnzimmer. »Heute kommt ein Film über Wildpferde.«
    »Gut, dann gibt es eben etwas später Abendbrot.«
    Oma und Max folgten Tine ins Wohnzimmer. Sie hatte den Fernseher schon eingestellt. Die Wildpferde waren wirklich großartig, und es dauerte nicht lange, da hatten alle drei das kleine Mädchen von nebenan vergessen.

    Mitten in der Nacht fuhr Tine im Bett hoch. Sie hatte geträumt, sie sei von einem Baum gefallen. Aber nicht von der Greenwood-Kastanie, sondern von einem Baum mitten im Urwald. Sie spürte noch den Aufprall auf dem Waldboden, meinte noch das Knacken der Äste ringsum zu hören. Nun saß sie aufrecht im Bett, ihr Herz klopfte heftig, ihr Hals fühlte sich ganz trocken an. Sie mußte unbedingt etwas trinken. Sie schlug die Bettdecke zurück, tappte leise zur Tür und schlüpfte auf den Flur.
    In der Küche knipste sie das Licht an, holte eine Flasche Apfelsaft aus dem Kühlschrank, füllte Saft in ein Glas und trank es in einem Zug leer. Als sie die Flasche wieder zurückstellte, taumelte sie ein bißchen. So ein Traum aber auch. Eigentlich schade, daß er schon zu Ende war. War so schön unheimlich gewesen hoch oben zwischen lauter Lianen!
    Sie löschte das Licht und tappte im Dunkeln zurück zu ihrem Zimmer. Auf halbem Weg stockte sie - was war das für ein komisches Geräusch? Kam das aus dem Treppenhaus? Sie horchte. Hörte sich an wie - ja, wie ein kleiner Hund, der leise winselte. Mit klopfendem Herzen tastete sie nach dem Wohnungsschlüssel. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel im Schloß und öffnete ganz leise die Tür, nur einen Spalt. Kein Licht draußen. Kein Geräusch mehr. Aber - da war doch irgendwas! Tine kniff die Lider zusammen. Ein Schatten! Drüben in die Ecke des Türrahmens gepreßt. Ein Schatten, der atmete. Mit einem Schlag war Tine hellwach. Sie lief durch das kalte Treppenhaus und blieb vor dem kleinen Schatten stehen. »Lilly!«
    Der Schatten zog die Schultern hoch.
    »Lilly!«
    Der Schatten kreuzte die Arme über der Brust, zitterte.
    »Lilly!«
    Der Schatten kniff die Augen zu, war nicht da, war ein Krümel, der nicht da sein durfte.
    Tines Hals wurde eng, ein kalter Luftzug von irgendwoher traf sie. Sie machte einen Schritt vorwärts, wollte Lilly berühren, aber die zog sich noch tiefer in den Türwinkel zurück.
    »Lilly«, stammelte Tine, »was machst du denn hier mitten in der Nacht?«
    Lillys Zähne klapperten, es war kaum zu verstehen, was sie sagte. »Ich hab Strafe.«
    »Strafe? Wofür?«
    »Ich hab Strafe.«
    Tine traute ihren Ohren nicht. Etwas stieg in ihr hoch, hilflose Angst. Verwirrt sagte sie: »Hör mal, du zitterst ja. Das geht doch nicht, daß du hier stehst und zitterst. Strafe! Was soll das? Jetzt klingle ich einfach bei euch. Die sollen dich reinlassen.«
    Lilly stieß einen schwachen Laut aus, und Tine streckte die Hand aus. »Du kannst hier nicht länger im Nachthemd stehen. Weißt du was? Ich nehm dich einfach mit zu uns rein.« Sie faßte zu, aber Lilly machte sich steif.
    Plötzlich wußte Tine, was sie tun mußte. »Warte, ich hol meine Oma.«
    Sie lief zurück, machte Licht im Flur, öffnete die Tür zum Elternschlafzimmer. Oma lag in Mamas Bett. Sie schnarchte ein bißchen. Tine beugte sich über sie und zupfte sie am Nachthemdärmel. »Oma, bitte, wach auf!«
    Oma drehte sich auf die Seite und schlief weiter.
    Tine rüttelte sie vorsichtig an der Schulter. »Oma, hörst du nicht?«
    Mit einem Ruck fuhr Oma in die Höhe und saß plötzlich aufrecht im Bett. »Tine? Was ist? Hat Max Bauchweh? Sollte mich nicht wundern. Was der gestern abend alles in sich reingestopft hat.« Sie schob die Decke beiseite, schwang die Beine über die Bettkante und griff nach ihrem Morgenrock. »Setz mal den Teekessel auf, damit ich Kamillentee kochen kann, Kamille ist immer gut.«
    »Max hat kein Bauchweh, Oma, es ist wegen Lilly nebenan.«
    »Was?« Oma knipste die Nachttischlampe an und schaute auf ihre Armbanduhr. »Halb zwei. Was um Himmels willen will
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