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Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Titel: Je mehr Löcher, desto weniger Käse
Autoren: Holger Dambeck
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auseinander, die Glasreihe verlängerte sich dadurch. Die Flaschenreihe blieb hingegen unangetastet. Auf die Frage, ob es nun mehr Gläser oder Flaschen seien, antworteten viele Kinder, es gebe mehr Gläser. Der Zahlensinn ist im Alter von vier noch nichtentwickelt, folgerte Piaget. Den Kindern fehle das Konzept der Mengeninvarianz, weil sie nicht verstünden, dass sich eine Anzahl nicht ändere, wenn Objekte verschoben würden.
    Piaget interessierte sich als Psychologe natürlich nicht nur für das Zahlenverständnis, sondern auch für Lernprozesse, das Sprachvermögen und die motorischen Fähigkeiten von Kindern. Seine Arbeiten revolutionierten die Psychologie, denn sie beruhten auf Experimenten, teils mit seinen eigenen Kindern. Doch leider waren manche von ihnen, wie man heute weiß, mangelhaft durchgeführt – und die Schlussfolgerungen deshalb falsch. Beim Gläserrücken hatte Piaget nicht berücksichtigt, dass das Gespräch zwischen Versuchsleiter und Kind den Ausgang des Versuchs beeinflussen kann. Denn die Vierjährigen glaubten, dass sich die Menge der verschobenen Gläser tatsächlich verändert haben musste – warum hätte der Erwachsene sonst gezielt danach gefragt?
    Kaum durchführbar erscheinen angesichts dieser Probleme Experimente mit Säuglingen. Kann man überhaupt herausfinden, was in dem Kopf eines Babys vor sich geht? Frischgebackene Eltern scheitern ja regelmäßig daran, das Geschrei ihres Nachwuchses richtig zu interpretieren. Wie sollen dann erst Forscher verstehen, was die Kleinen wahrnehmen und denken?
    Im Jahr 1980 hatte der Psychologe Prentice Starkey eine Idee. Wenn Babys schon nicht sagen können, was sie sehen, verstehen oder denken, dann könnte man aber doch zumindest schauen, ob sie sich für eine Sache interessieren. Gewöhnliches ist langweilig – Überraschendes, Unerwartetes und Ungewöhnliches ist spannend, so das Kalkül des Forschers. Das müsste sich auch im Verhalten der Kinder zeigen.
    Er holte insgesamt 72 verschiedene Säuglinge im Alter von 16 bis 30 Wochen in sein Labor an der University of Philadelphia. Auf einem Bildschirm bekamen die Kinder Punkte zu sehen. Anfangs waren es immer zwei Punkte, nur ihre Anordnung änderte sich. Starkey ließ bei jedem Kind stoppen, wie lange es auf den Monitor mit den zwei Punkten starrte – im Schnitt zwei Sekunden.
    Dann passierte etwas Neues: Beim Wechsel von einem Bild zum nächsten änderte sich nicht nur die Anordnung der Punkte, es kam noch ein dritter hinzu. Und das weckte nachweisbar die Aufmerksamkeit der Babys. Sie schauten eine halbe Sekunde länger hin. Die Kinder hatten den Übergang von zwei zu drei bemerkt, folgerte Starkey, verfügten also bereits über ein elementares Zahlenverständnis, bevor sie überhaupt eins, zwei, drei sagen konnten.
Schreien und rechnen
    Dieser ersten Überraschung folgten schon bald weitere. 1992 berichtete Karen Wynn im renommierten Wissenschaftsmagazin »Nature« über die verblüffenden Rechenkünste von Säuglingen, die man bis dahin kaum für möglich gehalten hatte. Die Psychologin hatte Kinder im Alter von fünf Monaten vor eine Art Kasperletheater gesetzt. Von der Seite näherten sich nacheinander zwei Puppen und versteckten sich hinter dem Vorhang. Kurze Zeit danach zog die Forscherin den Vorhang zur Seite und gab den Blick auf die Puppen frei.
    Diesen Versuch wiederholten die Forscher immer wieder. Mal befanden sich hinter dem Vorhang, wie zu erwarten, zwei Puppen, doch manchmal auch nur eine. Die Wissenschaftlerin hatte bei einem Teil der Experimente nämlich einfach eine Puppe verschwinden lassen. Die Auswertung der Videos zeigte, dass die Babys im Fall von nur einer Puppe eineganze Sekunde länger auf die Bühne starrten, als wenn dort zwei zu sehen waren.
    M athematik verhält sich zur Natur wie Sherlock Holmes zum Beweisstück. Aus einem Zigarrenstummel konnte der berühmte Romandetektiv Alter, Beruf und finanzielle Lage des Besitzers ableiten.
Ian Stewart (geb. 1945), britischer Mathematiker und Sachbuchautor
    Ganz offensichtlich wussten die Säuglinge bereits, dass eine Puppe plus noch eine Puppe zwei Puppen ergibt. Entdeckten sie hinter dem Vorhang nur eine Puppe, dann fesselte sie die unerwartete Situation und sie schauten länger hin. Weitere Experimente zeigten, dass Babys auch Subtraktions-Fehler erkennen. Wenn sich zum Beispiel von zwei Objekten, die hinter dem Vorhang liegen, eines gut sichtbar zur Seite wegbewegt, dann muss hinter dem Vorhang noch ein Objekt
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