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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Autoren: Beate Dölling
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genug geschlafen, meine Große?«
    Es ist Papa. Er lächelt, so zaghaft, als hätte er Angst, sein Lächeln könnte an ihr zerbrechen.

KAPITEL 7
    Er ist da
    Charly kommt aus London wieder. Sie hat Julia eine grüne Schlaghose mitgebracht. Julia soll sie gleich mal anziehen. Charly drängt: »Na los, mach schon. Und dann gehen wir raus. Ist total geiles Wetter. Wie wäre Schwimmbad?«
    Es ist so hell draußen, heiß. Am liebsten würde Julia in ihrem Zimmer bleiben, auf dem Bett liegen, Augen zumachen und warten, bis Jonas kommt. Letzte Nacht war er wieder da. Er stand neben ihrem Bett und schaute ihr beim Schlafen zu. Als sie die Augen aufmachte, lächelte er sie an. Leider hat sie sich erschrocken und ist hochgefahren, hat ihn verscheucht. Da war er weg.
    Sie muss sich mehr unter Kontrolle halten, ruhig bleiben, wenn er das nächste Mal erscheint.
    »Na los, Julia, du kannst nicht ewig in deinem Zimmer bleiben!«
    Charlotte hat kühle Hände. Sie hat immer kühle Hände und behält einen kühlen Kopf. Sie will später Teilchen-Physikerin werden und am CERN arbeiten, der europäischen Organisation für Kernforschung in Genf. In ihrem Zimmer hängt seit jeher ein riesiges Poster von einem Kohlenstoffatom, als Symbol allen irdischen Lebens, denn Kohlenstoffverbindungen bilden die molekulare Grundlage dafür.
    Charly zieht Julia vom Bett. »Lass mich«, sagt Julia. »Ich will nicht ins Schwimmbad.«
    Am liebsten möchte sie Charly wegschubsen, aber dafür ist sie zu schwach. Charly soll lieber wieder von London erzählen, dann lässt sie sie wenigstens in Ruhe.
    »Da müssen wir unbedingt mal zusammen hin! Irre Museen, und im Hyde Park war so viel los, da setzt du dich einfach hin und kannst dich gar nicht sattsehen. Wir haben auch total interessante Typen getroffen. – Brian aus Brighton, der in Barcelona Raumfahrttechnik studieren will, und Nils und Paul aus Hamburg, die für ein Entwicklungsprojekt in den Kongo wollen, und …« Charly hält inne. »Ach Jule! Das Leben geht doch weiter!«
    Jetzt fängt ihre beste Freundin auch schon mit diesen Sprüchen an! Julia merkt, wie ihre Augen schon wieder überlaufen, sie beißt sich auf die Lippen. Sie will auch nicht mehr von Charly aufgemuntert werden, sie soll aufhören, von London zu schwärmen! Julia weiß doch ganz genau, dass es Charly schlecht ging, in England. Der Unfall war gerade drei Tage her, als sie fuhr. Charly überlegte lange, ob sie überhaupt fahren sollte. Da muss sie jetzt nicht so tun, als wäre es das reinste Vergnügen gewesen. Bestimmt hat sie sich Vorwürfe gemacht, Julia kennt Charly doch, obwohl es wirklich nichts genützt hätte, wenn sie hiergeblieben wäre. Julia wusste doch, dass Charly sich schon das ganze Schuljahr tierisch auf London gefreut hatte. Sie liebt Großstädte, wahrscheinlich sogar mehr als Jungs. »Los, lass uns ein bisschen rausgehen«, drängt Charly. »Ich gebe auch eine Pizza aus.«
    »Mir ist nicht nach Pizza«, sagt Julia.
    »Dann ein Eis.«
    »Morgen.«
    »Ach, komm!«
    »Nee, ich will jetzt nicht raus.«
    Einen Moment ist es still, aber Julia weiß, dass es nicht lange dauern wird, bis Charly etwas Neues einfällt, um sie hier rauszulocken. Da sagt Julia: »Übrigens habe ich Kolja getroffen.«
    Charly braucht einen Moment, bis sie weiß, wen Julia meint.
    »Ach der«, sagt sie, nicht gerade begeistert. »Der Küsser.«
    »Das mit Kolja ist nicht ausbaubar«, hatte Charly damals gleich nach der Knutscherei gesagt und Kolja seitdem nie wieder erwähnt.
    »Kolja war auf der Beerdigung. Er war total nett, fürsorglich. Es war schön, Jonas’ besten Freund um mich zu haben.«
    Charly beißt sich auf die Lippen, nickt nur, will ihr unbedingt ein paar Clips zeigen. Dann liegen sie beide auf dem Bauch auf ihrem Bett und starren auf Charlys Handy. Bilder und Töne rauschen durch Julia hindurch wie Wind durch ein fensterloses Haus. Später, als Charly gegangen ist, liegt sie da, einfach nur da, immer noch auf dem Bett, und hat die Augen zu. Es ist ein bisschen wie auf einem Schiff, nur fährt das Schiff nicht, es hat auch keinen Anker, aber ein frischer Wind weht vom offenen Fenster, direkt in ihr Gesicht. So schaukelt sie sich zu Jonas, trifft ihn, auch wenn er keine Gestalt annimmt. Er ist da, wie ein Tiefseetaucher, in ihrem großen, grünen Schlaf. Als sie die Augen aufschlägt, fühlt sie noch, wie Luftblasen unter ihr aufsteigen und sie am Bauch berühren. Ein Glücksmoment, mit dem sie wieder einen Tag überstehen
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