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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Autoren: Beate Dölling
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Und dann geht es wieder ein Weilchen gut.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagt sie.
    »Soll ich dir das Album auf dein Handy laden?«
    Sie nickt.
    Kolja bezahlt für sie mit, gibt der Kellnerin Trinkgeld, begleitet Julia noch ein Stückchen. Wortlos gehen sie nebeneinander her, als hätten sie das schon immer getan.
    »Erzählst du mir mehr von Jonas?«, fragt sie.
    »Klar. Wann immer du willst.« Sie tauschen Handynummern.
    »Also dann«, sagt er und schaut ihr in die Augen, erschöpft, blass, müde. Gibt ihr die Hand. Zart, sein Händedruck.
    Der Schlüssel klimpert und klappert so laut in der Wohnungstür, als würde er nicht mehr passen. Mama kommt ihr entgegen.
    »Da bist du ja! Wie geht es dir?«
    Sie sinkt in Mamas Arme. Dann gibt es heiße Schokolade und Butterkuchen. Leichenschmaus. Das gab es nach der Beerdigung von Oma Iris. Es ist das Erste, was Julia wieder schmeckt. Seit sieben Tagen! So lange ist es jetzt schon her.
    Am siebten Tage aber sollst du ruhn!
    Sie isst drei Stück Kuchen, hat Koljas blonde Strähnchen vor Augen, den Sand, den sie auf den Sarg geworfen haben, Klack – so hat es gemacht, als der Sand auf den Sarg fiel. KLACK. Jonas Vater stand gebeugt, wie ein vom Wind gebogener Baum. Die Mutter ein gestrandetes Wrack. Sie funktionierten, wie ferngesteuert.
    Mama ist nicht zur Schule gegangen, sie hatte sich freigenommen für die Beerdigung, aber Julia wollte allein gehen. Mit Charly wäre sie gegangen, aber Charly ist auf Klassenfahrt in London. Da hätte sie jetzt nie im Leben mitfahren können. Und Charly wollte auch erst nicht fahren, wegen ihr, aber was hätte das schon genutzt?
    Gut, dass sie allein zur Beerdigung gegangen ist. Es geht ihr schon besser.
    Jonas ist jetzt unter der Erde . Nun hat die liebe Seele Ruh.
    Und ihre Seele? – Rau wie ein trockener Schwamm.
    Julia isst ein Stück Butterkuchen. Süß und saftig, sie kann gar nicht genug davon bekommen, atmet auf, es schmeckt so gut. Ist sie jetzt im normalen Trauerprozess angelangt?
    Sie starrt an die Küchenwand. Das gute Gefühl schwindet. Das ist das Hinterlistige an der Trauer: Das Aufatmen dauert nur einen Augenblick. Mama betont, wie wichtig es sei, nach Beerdigungen etwas Anständiges zu essen, das tröste die Lebendigen und würdige die Toten.
    Julia nimmt sich noch ein Stück Kuchen. Dann fängt die Waschmaschine in ihrem Bauch an zu schleudern und zu rütteln. Julia springt vom Tisch auf. Tassen fallen um, eine scheppert zu Boden. Mama läuft hinter ihr her ins Bad und hält ihr die Haare aus dem Gesicht, legt die Hand auf ihre Stirn, wie früher, wenn sie sich übergeben musste. Sie würgt alles aus sich heraus, ihr Magen ist voller Sand. Ihr Körper bebt. Mama wischt ihr den Mund ab. »Der schöne Kuchen«, sagt sie und gibt ihr kaltes Wasser.
    In der Küche läuft der Kakao vom Tisch. Tropfen für Tropfen.
    Den Nachmittag liegt sie bei Mama im Bett. Eng an sie gekuschelt, halb hier, halb in den Träumen. Bloß nichts reden. Mama streichelt ihren Arm, den Kopf, ihren Rücken. Sie ist warm und weich und am liebsten möchte Julia in ihren Bauch zurückkriechen.
    Am Abend hört sie die Krähen vom Friedhof. Es dämmert; sie liegt auf ihrem Bett. Sie hört sie kommen, dann hacken die Krähen mit den Schnäbeln ans Fenster. Julia spürt Hände unter ihrem Körper, Atem im Nacken, jemand hebt sie hoch und trägt sie fort. Sie lässt sich sinken, wird gehalten. Jonas! Er trägt sie zum Fenster, die Fensterflügel schlagen auf, die Krähen fallen tot vom Fensterbrett und stürzen in die Tiefe. Aber sie selbst hat keine Angst zu fallen. Jonas hält sie. Vor dem Fenster bleibt er stehen. Wind streicht über ihr Gesicht. »Schau nach draußen«, sagt Jonas. »Schau nur, wie schön die Bäume sind.«
    Und jetzt sieht sie, der Baum vor ihrem Fenster steht in weißen Blüten, wie ein Kirschbaum im Frühling. Der Wind fegt durch die Zweige. Süßer Blütenduft strömt ins Zimmer. »Schau doch nur«, sagt Jonas. Er weint. Er soll nicht weinen! Sie will ihm die Tränen abwischen, aber sie erreicht ihn nicht, sein Gesicht ist nicht mehr da, sie fasst ins Leere.
    NICHTS mehr da. Nur das Bett unter ihr.
    Ich weiß nicht, wo ich gewesen bin.
    Das Zimmer ist dunkel. Sie kann den Blütenduft noch riechen. Jonas war bei ihr. Sie spürt noch seine Arme an ihrem Rücken, wo er sie getragen hat. Sie liegt ganz still, bewegt sich nicht, damit er sie nicht loslässt.
    Die Zimmertür öffnet sich langsam. Ein Kopf kommt zum Vorschein.
    »Hast du
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