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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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Richtige tat, wie auch immer diese Reise um die halbe Welt und durch ein Jahrhundert ausgehen mochte. Sie hatte gelernt, dass sie sich und ihrer Intuition trauen konnte. Ihr konnte nichts passieren. Aus jeder gemachten Erfahrung würde sie nur noch gereifter und mutiger hervorgehen. Sie hatte keine Angst mehr zu scheitern. Weil es kein Scheitern gab. Jeder Verlust barg in sich bereits einen neuen Gewinn. Und deshalb war es eigenartig, mit René in der Hitze des Vormittags die Straße hinunterzufahren und durch die geöffneten Fenster die Grillen zirpen zu hören. Es fühlte sich nicht nach Neubeginn an. Es fühlte sich eher so an, als wäre er nur nach Frankreich gekommen, damit sie den letzten Teil ihres gemeinsamen Weges miteinander gehen konnten, der bald für immer zu Ende sein würde. Und je weiter sie fuhren, desto kürzer wurde die vor ihnen liegende Wegstrecke.
    Sie umklammerte das Lenkrad. Sie konnte nicht wieder in ihr altes Leben zurückkehren, in dem nur Platz für die alte Mimi war, die vollkommen den Blick für die Vielfalt der Welt und ihre Möglichkeiten darin verloren hatte. René sah sie abwartend von der Seite an. »Hallo?«
    Sie lächelte ihn kurz an. »Entschuldige, wo waren wir stehen geblieben?«
    »Ich habe dich gefragt, was du tun wirst, wenn Jacques nicht mit dir reden will. Es könnte doch sein, dass er mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben will. Sonst hätte er sich doch längst bei deiner Großmutter gemeldet. Inzwischen gibt es Telefon und …«
    »Er wird mit mir reden.« Mimi atmete tief ein. Die Luft war ganz klar. Der Himmel sattblau. Sie wollte Renés Zweifel nicht hören. Es spielte keine Rolle mehr, was er dachte. Es hatte nichts mehr mit ihr zu tun. Sein Blick war allein auf den winzigen Ausschnitt Welt gerichtet, in dem er sich auskannte. Nicht auf das Unbekannte dahinter.
    »Ich will ja nur nicht, dass du nachher enttäuscht bist und den ganzen Aufwand umsonst betrieben hast.« René klopfte mit seinen Fingern nervös auf den Knien herum. Er fand seine Rolle nicht mehr. Mimis entschlossene Neugier war ihm fremd. Das war deutlich zu spüren. Sie war selbst überrascht, wie schnell sie sich von ihm innerlich gelöst hatte, ohne sich dazu zwingen zu müssen. Im Gegenteil, sie fühlte sich plötzlich sehr lebendig und furchtlos.
    Mimi ließ den Wagen am sandigen Straßenrand ausrollen und schaltete den Motor ab. »Es tut mir leid.« Sie faltete die Hände im Schoß und sah auf ihre gebräunten Füße in den Badelatschen. Sollte sie wirklich sagen, was ihr schon seit den letzten Kilometern auf der Zunge lag? Wenn sie es jetzt aussprach, dann galt das für immer und ewig. Dann gab es kein Zurück mehr. »Ich hätte dich davon abhalten sollen, hierherzukommen.«
    »Bitte?« Er nahm seine Sonnenbrille ab und ließ den Anschnallgurt zurückschnalzen, um sich zu ihr zu drehen. »Warum das denn? Ich finde es schön, dass wir gemeinsam hier sind und ich dich bei deiner Mission begleiten kann. Ich finde nur …«
    Mimi holte tief Luft. »Was ich damit sagen will: Ich möchte gern allein zu Jacques fahren.«
    »Hm?« René zwinkerte hilflos, bis er seine Sprache wiedergefunden hatte. »Okay. Kein Problem. Dann warte ich in Arles auf dich. Ich setze mich dort in ein Café, trinke ein paar Café au lait, lese Zeitung, was die Franzosen ebenso in ihrer Freizeit machen, und wenn du fertig bist, holst du mich wieder ab, und wir fahren zusammen nach Hause.« Er zog die Augenbrauen hoch. Er lächelte, dabei sah er unsicher aus. Er tat Mimi leid. Es tat ihr leid, dass er nicht mehr zu ihr fand, dass er, so sehr er es auch versuchte, nicht mehr neu sein konnte für sie, weil der Mensch, der ihr wirklich neu war, so neu, dass es sie fast berauschte, sie selbst war.
    René würde über diesen Schock hinwegkommen. So, wie sie über den Schock seines Betrugs hinwegkommen würde. Es schien, als würde er tatsächlich erst nach und nach verstehen, was er da eigentlich angerichtet hatte. Was es bedeutete, das Vertrauen zwischen ihnen, die einander ein Versprechen gegeben hatten, zu brechen. Womöglich hatte er nicht gewusst, dass er damit alles zerstörte, und womöglich wusste er es jetzt. Vielleicht verstand er nun, dass er sich auf sie hätte zubewegen müssen, anstatt von ihr weg. Aber jetzt konnte sie mit dieser Einsicht nichts mehr anfangen. Von nun an lernte jeder von ihnen allein.
    Mimi sah René fest in die Augen. »Ich möchte auch gerne allein nach Hause fahren, wo auch immer das ist.
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