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Janusliebe

Janusliebe

Titel: Janusliebe
Autoren: E Mier
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Er weiß
gar nicht, was es bedeutet!»
Carry, die verstohlen über den Rand ihrer Zeitschrift lugte, stellte mit Erstau-
nen fest, wie sehr Vincent in diesem Moment seinem Bruder glich. Es versetzte ihr
einen kleinen, schmerzhaften Stich, und sie versteckte sich hastig wieder hinter
ihrer Zeitung.
«Ich habe keine Lust mehr, mich über Lawrence zu unterhalten», redete Vin-
cent weiter. «Soll er doch machen, was er will! Sämtliche Angestellte vergraulen,
das Haus zunageln oder was sonst ihm an Bösartigkeiten in den Sinn kommt. Mir
ist es egal!»
Er lachte, was allerdings gar nicht fröhlich klang, und zog Daphne in seine
Arme.
«Wir lassen uns von Lawrence unser Glück nicht vermiesen», sagte er zärtlich.
Und dann lauter: «Ich habe Hunger. Wenn ich nicht gleich etwas zwischen die
Zähne bekomme, knabbere ich dich an.»
    Daphne entwand sich mit einem kleinen Aufschrei seinen Armen und floh in
die Küche. Gleich darauf konnte man sie dort mit Töpfen und Bestecken klappern
hören, während sie fröhlich und völlig atonal ein Lied von John Denver trällerte:
«Oh, Montana, give that child a home!»
Der gute Johnny rotierte bei diesem stimmlichen Einsatz sicherlich in seinem
Grab.
Carry verzog sich stillschweigend in die sichere Zuflucht ihres Schlafzimmers.
Das Glück des jungen Paares machte sie zunehmend trauriger.
———————
«Du bist kerngesund.» Doctor Richard Cline blinzelte Lawrence über den Rand
seiner goldgefassten Brille an. «Vielleicht etwas überarbeitet. Dagegen würde ein
kleiner Urlaub helfen, aber sonst ...»
Er hob die Hand und ließ sie in einer ratlos wirkenden Geste wieder auf die
Schreibunterlage sinken.
«Gegen Liebe und Liebeskummer gibt es keine Medizin.»
Lawrence zuckte zusammen. Verlegen wich er dem prüfenden Blick des Freun-
des aus und sah sich im Zimmer um, als ob ihm die modernen Stahlrohrmöbel
eine Antwort auf all seine Fragen geben könnten. Das, was Richard eben so unver-
blümt diagnostiziert hatte, wusste Lawrence im Grunde schon seit Wochen. Aber
er hatte sich mit aller Kraft gegen diese Erkenntnis gesträubt.
Liebe! Ein Gefühl, ein vorübergehender Hormon-Boogie-Woogie, der den ge-
sunden Menschenverstand vernebelte und einem verdammt schwer zu schaffen
machte.
Lawrence konnte sich selbst nicht mehr ertragen. Er litt an permanenter Ap-
petitlosigkeit und hatte kein Interesse mehr an seiner Arbeit. Alles Folgen einer
schrecklichen Infektion, die ihn langsam vergiftete. Je mehr sich Lawrence dage-
gen wehrte, desto verheerender wütete sie in ihm.
Dabei schämte er sich vor sich selbst, denn er hatte oft genug die hilflose Trot-
teligkeit anderer Männer belächelt, die plötzlich von dieser Krankheit befallen wor-
den waren. Überzeugt, dass ihm so etwas nie passieren könnte, war Lawrence zum
vehementen Verfechter der absoluten Beherrschungstheorie geworden, nach der
ein Mann nur genügend Selbstbewusstsein und Willenskraft besitzen musste, um
über solche albernen und im Grunde animalischen Anfechtungen erhaben zu sein.
Jetzt gehörte er selbst in die Gruppe dieser albernen Tölpel, und dass Dr. Cline
das nun auch noch als Arzt diagnostizierte, deprimierte Lawrence zutiefst.
Keine Medizin dagegen! Ein hoffnungsloser Fall, so aussichtslos, dass ihn
selbst die Ärzte aufgaben!
    «Es muss doch ein Mittel dagegen geben!», wandte Lawrence sich verzweifelt
an den Mediziner, der ihn schweigend beobachtete. «Irgendetwas, eine Therapie,
eine Kur, die mich von dieser unseligen Last befreit.»
«Du bist nicht krank», erklärte Richard sanft.
«Aber ich fühle mich so!» Lawrence ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen und
schloss entkräftet die Augen. «Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie elend ich
mich fühle.» Richard lächelte verständnisvoll. Schließlich hatte er Augen im Kopf.
Dabei konnte er sich eines kleinen Gefühls der Schadenfreude nicht erwehren.
Seit Jahren wartete er darauf, dass dieser Fels namens Lawrence M. Carlson einmal
erschüttert wurde. Richard hatte die Hoffnung darauf fast aufgegeben und justa-
ment heute war es so weit!
Lawrence M. Carlson, ein Mann wie ein Bär mit dem Temperament einer Evi-
pan-Injektion, war klein und hilflos geworden durch eine Frau, die ihn gepackt
hatte und zappeln ließ wie einen Fisch an der Angel.
Ach, es war zu schön, das zu erleben!
Dr. Cline zuckte zusammen. Waren diese Gedanken eines guten Freundes
würdig?, fragte er sich beschämt. Er riss sich
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