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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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Traumprinz.
    Das ist er nämlich nicht. Die wenigen Male, die er bei uns zu Hause war, hat er mir penetrant aufs Dekolleté gestarrt. Außerdem hat er beim Händeschütteln unauffällig seinen Daumen über mein Handgelenk bewegt, wie ein leichtes Streicheln. Es war eine so intime, dabei aber so kleine und kurze Geste, dass ich mir nicht mal ganz sicher bin, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat.
    Habe ich mir das alles vielleicht nur eingebildet?
    Wie dem auch sei. Mein dummes Gerede hat mich nun in die unangenehme Lage gebracht, dass ich einerseits vor Alice so tun muss, als sehnte ich mich nach den Aufmerksamkeiten von Dom Fernando, und mir andererseits diesen alten Lüstling vom Hals halten muss. Zugleich möchte ich natürlich die Nähe von Gustavo suchen, ohne dabei Alices Interesse für ihn zu wecken. Ist das nicht vertrackt?
    Dennoch freue ich mich wie verrückt auf die Feier. Es ist das erste Mal, dass ich in der Öffentlichkeit höhere Absätze, ein eng geschnürtes Korsett sowie ein Kleid mit großzügigem Ausschnitt tragen darf. Mit der festa de quinze anos wird die Verwandlung des Mädchens zur Frau gewürdigt, sodass meine Garderobe morgen Abend erstmals die einer erwachsenen Frau sein wird. Meine Mutter wird mir ihr Smaragdcollier sowie die passenden Ohrringe leihen und sogar ein wenig Lippenrot, Puder und Rouge werde ich auftragen dürfen.
    Das alles habe ich selbstverständlich schon heimlich getan, und es ist wirklich erstaunlich, um wie vieles älter man in dieser Aufmachung wirkt. Ich kann meinen großen Auftritt vor den Gästen kaum erwarten. Die werden Augen machen! Ich kann mir genau die bewundernden Blicke der Männer vorstellen und die erstaunten Kommentare der Frauen: » Sieh nur, die kleine Isabel de Oliveira, wie sie sich entwickelt hat! « Und Gustavo erst– er wird mich anschmachten und plötzlich erkennen, dass er mir rettungslos verfallen ist.
    Am schönsten wird natürlich der Anblick von Alice sein, wie ihr die Kinnlade herunterklappt. Sie hält sich für so viel reifer, hübscher und klüger, aber wenn sie mich erst in meinem Abendkleid aus Seide sieht, wird sie ihre Meinung wohl ändern müssen. Ich sehe in dem Kleid aus wie eine Märchenprinzessin. Es hat dieselbe hellgrüne Farbe wie meine Augen und zusammen mit den grünen Edelsteinen meiner Mutter ist der Effekt wirklich grandios.
    Ein hartes Klopfen an meiner Tür unterbricht mich in meinen herrlichen Tagträumen. Ich mache mir nicht die Mühe, » herein « zu sagen, denn kaum eine Sekunde später kommt, genau wie ich es erwartet habe, unser Hausmädchen Maria hereingepoltert. Ich schließe die Augen, aber sie weiß genau, dass ich nicht mehr schlafe.
    Â» Aufstehen, Senhorita Isabel! « , ruft sie so laut, dass man es bis in die senzala, die Sklavenunterkunft, hören kann. » Sie machen mir nichts vor, junges Fräulein. Ich weiß, dass Sie hellwach sind. «
    Â» Ist gut, Maria, ich steh schon auf « , murmele ich in gespielter Schlaftrunkenheit und gähne ein wenig übertrieben.
    Â» Hier steht schon Ihr café com leite, Ihr Milchkaffee. «
    Â» Mit drei Löffeln… «
    Â» …Zucker, wie immer. « Dann werden ihre Gesichtszüge plötzlich weicher und ihre Stimme nimmt einen zärtlichen Klang an: » Feliz aniversário, Kindchen. « Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
    Â» Danke, Maria. «
    Sie legt mir ein kleines Päckchen auf die Bettdecke. Dann wird ihr Ausdruck wieder strenger, so als schäme sie sich ihrer tiefen Gefühle für mich.
    Genau wie Maria immer schon weiß, was ich sagen will, weiß ich, was sie tun wird. Und tatsächlich: Sie schreitet energisch zum Fenster, zieht die Vorhänge zurück und schiebt die Fenster hoch. Dann klappt sie die Holzläden nach außen, die ohnehin nicht richtig geschlossen waren, denn sonst hätte sich der Sonnenstrahl ja nicht in mein Gesicht verirren können. Schließlich stellt sie sich vor meinem Bett auf und droht mir damit, mir die Decke wegzureißen. Sie hat ihre Hände dabei auf die breiten Hüften gestemmt und sieht mich mit einem Blick an, von dem sie glaubt, dass er furchterregend wirkt.
    Â» Erst öffne ich das Geschenk « , sage ich und wickele es bereits hastig aus. Es ist ein Satz Knöpfe: sechs schlichte Holzknöpfe, die Maria mit Pinsel und Farbe in einzigartige
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