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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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Schluck von meinem Milchkaffee. Dann will ich die nicht ganz leere Tasse auf der Kommode abstellen, treffe aber die marmorne Ablagefläche nicht richtig. Die Tasse fällt scheppernd zu Boden und zerbricht. Auf dem cremefarbenen Flickenteppich vor der Kommode bildet sich ein hässlicher hellbrauner Fleck. Verflucht, denke ich.
    Â» Ach, Mädchen « , seufzt Maria und macht sich daran, die Scherben aufzusammeln und den Fleck abzutupfen.
    Â» Tut mir leid « , sage ich und verlasse eilig den Raum, bevor mich noch eine Anwandlung von Hilfsbereitschaft überkommt. Die Schneiderin wartet.
    Â» Herzlichen Glückwunsch, Senhorita Isabel! « , ruft diese mit ihrer lächerlichen Piepsstimme, als ich in das Arbeitszimmer meines Vaters trete, das uns vorübergehend als Ankleidekammer dient. » Schön, dass Sie ausschlafen konnten. Wie traurig sähe dieses hinreißende Kleid an einer jungen Dame aus, die übermüdet ist, die Ringe unter den Augen hat und die immerzu gähnt. «
    Sie hat ihre Kritik an meinem späten Erscheinen geschickt verpackt, das muss ich zugeben. So viel Raffinesse hätte ich der ältlichen Frau gar nicht zugetraut. Eine Entschuldigung wird sie von mir trotzdem nicht zu hören bekommen.
    Â» Guten Morgen. Können wir gleich beginnen? Ich habe es eilig. « Damit setze ich die arme Schneiderin ins Unrecht, als sei sie es, die mich aufgehalten hat, wo es sich doch genau andersherum verhält. Ich habe festgestellt, dass dies eine sehr wirksame Methode ist, um lästiges Genörgel zu unterbinden. Ich habe es satt, dass sich alle Welt anmaßt, über meine Schlafgewohnheiten zu urteilen. Und nicht nur über die.
    Ich darf nicht essen, was ich will. Ich darf nicht anziehen, was ich will. Ich darf eigentlich gar nichts von dem machen, worauf ich Lust habe. Immer und überall wird an mir herumgemäkelt: Du willst doch wohl nicht ohne Hut und Handschuhe ins Freie gehen, Isabel? Was liest du da wieder für einen Schundroman, Isabel? Wenn du weiter so viel Schokolade isst, wirst du kugelrund. Spiel uns doch noch ein heiteres Klavierstück vor, Isabel. Es ist wirklich nicht lustig, die Tochter eines Kaffeebarons zu sein.
    Dabei ist es auf unserer Fazenda, so nennt man eine Plantage in Brasilien, nicht halb so schlimm wie im Internat. Es sind Sommerferien, sodass ich die mehr als zwei Monate von Weihnachten bis Karneval auf Águas Calmas verbringe. Zwar wäre ich lieber nach Europa gereist– diese Reise ist nämlich mein Geburtstagsgeschenk–, aber die Jahreszeit scheint nicht günstig dafür zu sein. Während wir hier unter der tropischen, schwülen Hitze leiden, stöhnt man in Europa über die lausige Kälte. Man kann sich nicht wirklich vorstellen, dass es auf der Nordhalbkugel Winter sein soll, während hier die Durchschnittstemperatur im Januar über 30Grad im Schatten beträgt. Ich beneide sie, diese Europäer. Ich habe noch nie in meinem Leben Schnee gesehen und ich stelle ihn mir sehr schön und vor allem sehr erfrischend vor.
    Aber heute ist mein Geburtstag, daher verdränge ich alle unschönen Gedanken an meine aufgeschobene Reise lieber schnell. Ich drehe und wende mich vor der Schneiderin, lasse das Gezupfe über mich ergehen und verdrehe im Geiste die Augen über all ihre erschrockenen Ausrufe. Ganz gleich, wie oft sie » oh weh! « ruft– das Kleid sitzt perfekt, es müssen gar keine Änderungen mehr vorgenommen werden. Die Frau will nur noch ein bisschen mehr Geld an uns verdienen.
    Ich betrachte mein Spiegelbild in der Fensterscheibe und bin entzückt. Übermütig drehe ich mich so schwungvoll im Kreis, dass der Saum hochfliegt… und eine kostbare Porzellanvase mit sich reißt. Meine Güte, was bin ich heute nur für ein Trampel!
    Die Schneiderin jammert, während schon unsere jüngste Haussklavin herbeieilt, um die Trümmer zu beseitigen. Von meiner Mutter weit und breit keine Spur. Sie wird zornig sein, denn diese Vase bedeutet ihr viel. Aber was soll’s. » Scherben bringen Glück « , rufe ich aus und glaube in diesem Augenblick auch daran. Bald schon werde ich meinen großen Auftritt haben, ich kann es mir nicht leisten, meinen Optimismus zu verlieren.
    Zunächst aber muss ich mit João zum Bahnhof fahren, um Alice abzuholen. Ich freue mich auf ihren Besuch. Es ist wunderbar, dass sie bereits so früh eintrifft, denn so können wir
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