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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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abbiegen können, und das hätte seinen sicheren Tod bedeutet.“
    „O ja“, erinnerte sich Oma Jenny, „in dem trüben Wasser hätte er nicht genug Atemluft gehabt.“
    „Unsinn“, rief Tim, „Wale sind Säugetiere und holen sich ihren Sauerstoff aus der Luft und nicht aus dem Wasser. Aber der Torfkanal ist eine Sackgasse. Er wäre nie wieder herausgekommen!“
    „Nie wieder kannst du nicht sagen“, bemerkte Jan nachdenklich. „Wenn man ihn mit einem Kran angehoben und gedreht hätte.. „Aber, Onkel Jan“, unterbrach Nicole, „meinst du wirklich, irgendein Mensch wäre mit einem Kran an den Torfkanal gefahren, um einen Wal zu drehen? Die Leute hätten uns doch ausgelacht und uns für verrückt gehalten, wenn wir sie darum gebeten hätten.“
    „Natürlich“, sagte Tina, „so etwas muß man auch gesehen haben, um es glauben zu können.“
    Herr Wurzacher ließ sich von Jan Tabak noch ein Glas Kognak einschenken und kippte den in einem Zug hinunter. Dann blickte er gedankenvoll auf die dunkle Wümme hinaus.
    „Wale sind interessante Tiere“, sagte er. „Man erzählt sich die merkwürdigsten Begebenheiten von ihnen. Aber daß sie so weit die Flüsse hinaufschwimmen, ist mir neu.“
    „Och“, schwächte Jan Tabak ab, „so weit ist es ja gar nicht. Von hier bis in die Nordsee sind es nicht mehr als sechzig Kilometer. Die reißt ein Wal in zwei bis drei Stunden herunter. Mit dem Strom natürlich! Wenn er gegen den Strom schwimmen muß, braucht er eine Stunde mehr.“
    „Unser Wal war bereit zu sterben“, erzählte Tim weiter. „Er lag da, halbaufgetaucht, wie ein gekenterter Torfkahn, und bewegte sich nicht. Nur sein Auge zuckte nervös. Wir standen am Ufer und überlegten, wie wir ihm helfen konnten. Dummerweise waren wir an dem
    Tage gerade mit dem Tandem unterwegs und nicht mit dem Boot, sonst hätten wir ihn einfach in Schlepp genommen.“
    „Ja“, fuhr Nicole dazwischen, „aber mit dem Fahrrad war das natürlich nicht möglich. Wir konnten ihn doch nicht gut an den Gepäckträger binden! Das arme Tier bemerkte uns auch. Es wedelte ein wenig mit der Steuerbordflosse und trieb zu uns herüber. Bald lag es wie eine Brücke zwischen den beiden Ufern, sehr schräg, denn es war ja viel länger, als die Kleine Wümme breit ist. Wir tätschelten seinen Kopf und sprachen ihm Mut zu. Ihr glaubt gar nicht, wie das dem Tier wohltat. Es drehte sich im Wasser wie eine Spindel und blies eine hohe Fontäne aus seinem Atemloch.“
    „Wale sind sehr empfänglich für Freundlichkeit“, mischte sich Jan wieder ein. „Das weiß man auf der ganzen Welt. Man kann sie mit einem netten Wort um den kleinen Finger wickeln, bildlich gesprochen natürlich.“
    „Das haben wir auch festgestellt“, rief Nicole erregt. „Unser Wal war so sanftmütig wie ein Hund, wie Lady! Er erlaubte mir, daß ich ihn als Steg benutzte und über seinen glänzenden Rücken ans andere Ufer balancierte.“
    „Und ich durfte sogar ein Stück auf ihm reiten“, sagte Tim und lächelte, als er sich daran erinnerte. „Ich benutzte seine Seitenflossen als Trittbretter, und er zog ganz behutsam seine Bahn.“
    „Aber die Äpfel fraß er zuerst aus meiner Hand“, rief Nicole. „Wenn schon“, gab Tim zu. „Dafür nahm er nur von mir die Bananen.“
    „Fressen Wale Obst?“ wunderte sich Oma Jenny.
    „Was bleibt ihnen anderes übrig, wenn sie Hunger haben“, erklärte Jan Tabak. „Von den geringen Fischbeständen in der Kleinen Wümme wird so ein Riesenviech nicht satt.“
    Die Wurzachers schauten über das schwarze Wasser und schwiegen. Und wunderten sich.
    „Fast eine Stunde lang ließ sich der Wal durch unsere Spiele von seinem Kummer ablenken“, erzählte Tim weiter, „dann befiel ihn wieder die alte Traurigkeit. Er blieb regungslos liegen und war nun zu keinem Scherz mehr aufgelegt. Da kam ich auf die Sache mit den Blinkzeichen.“
    „Irrtum, lieber Tim“, schrie Nicole, „die fiel mir ein!“
    „Aber, Mädchen“, sagte Tim sanft, „wie sollte sie dir eingefallen sein, da du doch bis dahin das Morsealphabet überhaupt nicht kanntest?“
    „Das war auch gar nicht nötig“, rief Nicole. „Ich wußte aber, daß Schiffe sich durch das Ein- und Ausschalten von Scheinwerfern Nachrichten übermitteln können. Ich habe dich auf das Augenzwinkern des Wals aufmerksam gemacht, mein Lieber, und ich habe auch vermutet, daß es etwas bedeuten könnte. Du hast lediglich den Funkverkehr aufgenommen.“
    „Na, meinetwegen“,
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