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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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ihm!

    Der Tod legte also zum drittenmal seine eiskalte Hand auf meine sonnverbrannte Schulter. Daß er mich diesmal nicht entkommen lassen würde, war mir klar. Erst würde ich verdursten und dann ertrinken.
    Dennoch gab ich nicht auf.
    Man sagt, ein Ertrinkender klammere sich an einen Strohhalm, obwohl er weiß, daß der ihn nicht tragen kann. Glaubt mir, Kinder, in jenen Stunden verstand ich, was damit gemeint war. Das immer schwerer werdende, gnadenlos sinkende Tabaksfaß war mein Strohhalm. Ich krampfte mich daran fest, umklammerte es mit den Beinen und zwängte meine Finger in die Ritzen. Dann verlor ich gänzlich die Besinnung.
    In einem wilden Traum kämpfte ich mit Seeungeheuern und dem Riesen Barbapullus, dem Bärtigen, der auf mir lag, mir die Luft abdrückte und Grimassen schnitt.
    Es dauerte lange, bis ich begriff, daß ich mich an Bord eines Schiffes befand und der Riese Barbapullus niemand anders war als ein bärtiger holländischer Schiffsarzt, der sich mit Wiederbelebungsversuchen um mich bemühte. Seine nervigen Hände drückten das Wasser aus meinen Lungen und brachten die Atmung wieder in Gang. Unter seiner Obhut dämmerte ich dem völligen Erwachen langsam entgegen.
    Später erfuhr ich, daß die Besatzung mich kurz vor meinem endgültigen Untergang gesichtet und an Bord genommen hatte. Mehrere Tage, so erzählten mir die braven Männer aus Holland in schlechtem Deutsch, hätte ich phantasiert und nicht zu mir selbst zurückgefunden. Weil sie oft über mich sprachen, brauchte ich natürlich einen Namen. Den richtigen kannten sie nicht, ich hatte ja keinen Paß in meiner Unterwäsche stecken, darum mußten sie einen erfinden. Tja, und weil ich auf einem Tabaksfaß gelegen hatte, nannten sie mich einfach Tabak. Den Vornamen Jan gaben sie mir als Beigabe drauf, der ist in Holland sehr häufig.
    Ich sagte ihnen zwar, als ich wieder reden konnte, wie ich tatsächlich hieß, aber da hatten sie sich so an Jan Tabak gewöhnt, daß sie bei dem Namen blieben. Er gefiel ihnen. Und ehrlich gesagt, Kinder, mir auch. Er gefällt mir heute noch. Und wenn ihr nichts dagegen habt, werde ich ihn beibehalten.“
     

Der Wal in der Wümme
     
    Am zweiten Juni hielt ein weißes Taxi vor dem Hause der Marwedels. Eine Dame und ein Herr stiegen aus, sahen sich suchend um und traten dann durch die Fronttür.
    Es waren die Wurzachers, Tims und Nicoles Eltern.
    Sie trafen die Großfamilie beim Kaffeetrinken.
    „Ach, du meine Güte!“ rief Tim. „Was wollt ihr denn hier? Ich denke, ihr buddelt die alten Pharaonen im fernen heißen Ägypten aus?“
    „Nun nicht mehr, mein Sohn“, sagte Herr Professor Wurzacher. „Guten Tag allerseits. Ich hoffe, wir stören nicht?“
    Sie gaben allen reihum die Hand und aßen dann auch von Tinas köstlichem Butterkuchen.
    Während der Mahlzeit berichteten sie von ihrer Arbeit in Afrika und ihren Plänen.
    „Wir haben uns in einem kleinen Ort bei München ein Haus gekauft“, sagte Frau Wurzacher, „da können wir nun endlich ein richtiges Familienleben führen.“
    „Willst du damit etwa andeuten, daß ihr gekommen seid, um uns abzuholen?“ fragte Tim, und es klang, als hätte er soeben erfahren, daß man ihn ins Gefängnis stecken wolle.
    „Ja“, antwortete seine Mutter, „wir wollen euch mitnehmen.“ Darauf wurde es eine Weile still am Tisch.
    Nicole kratzte die Zuckerkruste von ihrem Kuchen und warf sie in den Tee, und Tim löffelte seine Tasse leer.
    „Wenn ihr meint“, sagte er schließlich, „daß wir euch jetzt vor Freude um den Hals fallen, müssen wir euch leider enttäuschen. Wir sind nämlich gern hier gewesen und würden mit Vergnügen noch länger bleiben. Nicht, daß wir was gegen euch haben, ihr seid ja immerhin unsere Eltern, aber Onkel Jan und Tante Tina haben den ganzen Tag Zeit für uns. Bei euch ist Zeit jedoch ein sehr rarer Artikel.“
    Diese Worte lösten ein lebhaftes Gespräch aus.
    Jan und Tina beteuerten, daß sie die Kinder so lange bei sich behalten würden, wie die es wünschten; aber selbstverständlich wollten sie nicht das Zusammenwachsen der Familie verhindern. Herr Wurzacher versicherte, daß er das großzügige Angebot zu schätzen wisse, es aber auf keinen Fall annehmen könne. Schon für die Gastfreundschaft, die den Kindern während der letzten zwölf Monate gewährt worden sei, fühle er sich sehr in der Schuld der Marwedels. Das könne er gar nicht wieder gutmachen. Dazu bemerkte Tina mit Nachdruck, daß nichts gutzumachen sei. Die
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