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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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Jan. „Möchtet ihr das hören?“
    „O ja“, rief Tim, „danach habe ich dich schon immer fragen wollen.“
    „Na, wenn das so ist“, sagte Jan, „dann muß es wohl sein. Eigentlich spreche ich ja nicht gern von meinen Erlebnissen damals auf dem ,Weißen Schwan von Neufundland’, wie er großmäulig hieß, dieser elende Lotterkasten, weil alles so unwahrscheinlich klingt. Ihr könntet meinen, ich nehme es mit der Wahrheit nicht so genau. Aber das ist nicht der Fall, im Gegenteil, ich lasse in meiner Erzählung sogar manches weg, weil es mir heute selbst unglaublich vorkommt.
    Ich war damals noch ein junger Mann, müßt ihr wissen, und wollte die Welt kennenlernen. Weil ich kein Geld hatte, konnte ich mich aber nicht einfach in die Eisenbahn setzen oder ein Schiff besteigen, sondern mußte entweder zu Fuß tippeln oder aber mir die Reise verdienen. Ich tat beides. Mal marschierte ich ein paar Monate, und mal arbeitete ich als Kohlentrimmer auf einem Schiff, wenn ich über das Meer in einen anderen Erdteil wollte.
    Nun, einmal war ich irgendwie nach Rio gekommen, nachdem ich in Brasilien als Kaffeepflücker und Tabakpflanzer gearbeitet hatte. Meinen Verdienst trug ich in einem kleinen Lederbeutel um den Hals. Gutgelaunt bummelte ich durch die schöne Stadt, kaufte mir ein Paar elegante Schuhe sowie einen schneeweißen Anzug und war mit meinem Leben und den Menschen und dem herrlichen Sonnenschein sehr einverstanden, genauso, wie ich es heute auch bin. Damals allerdings war mein Glück von sehr kurzer Dauer. Im Handumdrehen, so kann man sagen, verfinsterten sich die Sonne, die Menschen und mein Leben. Irgendwo im Hafengebiet nämlich, wo ein so eleganter Mann wie ich mit seinem Strohhut und dem todschicken Anzug jedem auffallen mußte, stülpte man mir hinterrücks ein Faß über den Kopf und schleppte mich weg. Ich war so überrascht, daß ich erst zu schreien anfing, als mich kein ehrlicher Mensch mehr hören konnte, auf dem Schiff nämlich, dem ,Weißen Schwan von Neufundland’.

    Vor dem Kessel auf den Kohlen fand ich mich wieder, umringt von einer Meute der widerlichsten Kerle dieser Welt, die alle eingeschlagene Nasen, blutigrote Narben und breite Zahnlücken hatten. Sie nahmen keine Rücksicht auf meinen blütenreinen Anzug, sondern betatschten ihn mit ihren dreckigen Pfoten, zerrissen ihn dann zu kleinen Vierecktüchern und begannen die schmierige Maschine damit zu putzen, obwohl genug andere Putzlappen in einem Kasten daneben lagen.
    Ich protestierte heftig gegen ein derart ungepflegtes Verhalten, doch das nahmen die Unholde gar nicht zur Kenntnis. Als ich nur noch in meiner Unterwäsche dasaß, drückte mir einer von ihnen eine Schaufel in die Hand und forderte mich auf, Kohlen aufs Feuer zu werfen, obgleich Rio doch in den Tropen liegt und wir weiß Gott nicht zu frieren brauchten.
    Aber es ging den Leuten gar nicht um die Wärme, sondern ums Wasserkochen. Nicht, daß sie sich einen Tee aufbrühen wollten oder eine Tasse Brasilkaffee, nein, sie wollten in See stechen, und dazu brauchten sie Dampf im Kessel. Der ,Weiße Schwan von Neufundland’ war nämlich ein Dampfer.
    Ich warf also ein paar Schaufeln auf, um meinen guten Willen zu zeigen. Aber das genügte den Männern nicht. Sie gaben mir zu verstehen, daß ich immerzu schaufeln müßte, den ganzen Tag, die ganze Reise, ja, mein ganzes Leben.
    Das war mir, ehrlich gesagt, ein bißchen zu lange. Darum setzte ich mich hin und begann meine Fingernägel zu reinigen. Für Sauberkeit hatten die Burschen jedoch überhaupt kein Verständnis. Sie droschen gemeinsam auf mich ein und drohten, mich in den Ofen zu stecken, wenn ich nicht sofort weiterheizte. Ich hatte keine andere Wahl, als den Klügeren zu spielen und nachzugeben.
    Mittlerweile waren wir längst auf hoher See. Die Maschine ratterte, klingelte, stampfte, zitterte, heulte, spuckte Wasser und Öl und schien jeden Augenblick explodieren zu wollen. Das ganze Schiff ächzte und stöhnte mitleiderregend. Man spürte, daß es zu alt war für die Arbeit, die man von ihm verlangte, und die Last von fünftausend Fässern Tabak, die in seinen Leib gestaut worden waren. Pausenlos schaufelte ich Kohlen in den feurigen Schlund, schwarze glänzende Dinger, die mir zublinzelten im Flammenschein und die Hitze nicht fürchteten. Meine Wärter hockten auf dem eisernen Fußboden und würfelten mit Knochen um das Geld in meinem Lederbeutel, den sie für mich in Verwahrung genommen hatten. Sie spielten allerdings
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