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Jan Tabak geht aufs Ganze

Jan Tabak geht aufs Ganze

Titel: Jan Tabak geht aufs Ganze
Autoren: Werner Schrader
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groß dazu sagen? Die Jungen haben doch nur das getan, was sie bei Ihnen, Herr Schulleiter, oder einem Ihrer Kollegen gelernt haben.“
    „Wie soll ich das verstehen?“ fragte der Schulleiter überrascht. „So, wie ich es sage“, erklärte Jan. „Tims Klassenlehrer bestraft, ich vermute mit Ihrer Billigung, regelmäßig die ganze Klasse, wenn ein Schüler etwas angestellt hat. Kollektivstrafe nennt man das ja wohl. Ich halte, wenn Sie meine Meinung dazu überhaupt interessiert, diese Art von Strafe für unsinnig. Sie bessert nicht, sie schreckt nicht ab, sie macht die Betroffenen nur böse auf ihre Richter.“
    „Sie irren, Herr Marwedel“, unterbrach ihn der Schulleiter. „Wenn eine ganze Klasse bestraft wird, weil einer zu feige war, seine Schuld zu bekennen, dann wird sie die Erziehung dieses Jungen selbst in die Hand nehmen, und das ist ein positives Moment.“
    „Aha“, sagte Jan, „dreißig Mann fallen also über den Übeltäter her und verhauen ihn, nicht wahr? Oder wie stellen Sie sich diese Erziehung vor?“
    „O es gibt auch noch andere Mittel“, sagte der Schulleiter. „Ein Gespräch zum Beispiel kann Wunder wirken.“
    „Das glaube ich kaum. Bei Ihnen und Ihren Kollegen jedenfalls scheint es keine gewirkt zu haben.“
    „Wieso bei uns?“
    Jan blickte ihn an.
    „Ich gehe doch wohl recht in der Annahme“, sagte er, „daß Sie sich vorgestern mittag, als Sie alle mit Ihren Reifen beschäftigt waren, fragten, wer Ihnen das eingebrockt hat, und daß Sie dabei zu einem lebhaften Gespräch kamen. Aber haben Sie dabei so erzieherisch auf Ihren Kollegen eingewirkt, daß er seine Klasse in Zukunft gerechter behandelt und Ihnen jede weitere Reifenmontage erspart? Der sollte nämlich getroffen werden, und seine Schüler haben sich dabei desselben Mittels bedient, das er auch immer anwendet, der Kollektivstrafe. Daß dabei mehr Unschuldige als Schuldige getroffen werden, liegt in der Natur der Kollektivstrafe. Aber Sie selber, Herr Schulleiter, haben sich ja für die Kollektivstrafe erklärt; darum sollten Sie den gelehrigen Schülern der siebten Klasse, die getreulich nachvollzogen, was ihnen hier vorgemacht wird, nicht grollen, sondern ein Lob aussprechen.“
    Da brach der Schulleiter die Aussprache ab und sagte: „Das genügt, Herr Marwedel. Sie können jetzt gehen. Wir werden Ihnen schriftlich mitteilen, zu welchem Beschluß wir gekommen sind.“
    Als Jan Tabak mit den Kindern auf dem Korridor war, hörte er, wie im Lehrerzimmer eine erregte Diskussion losbrach. Er grinste und sagte: „Ich glaube, die Schlacht haben wir gewonnen, Kinder.“
     

Woher Jan Tabak seinen Namen hat
     
    Die angekündigte Mitteilung vom Schulleiter erhielt Jan Tabak nicht. Daraus schloß er, daß die Schule nichts gegen Tim und Herbert unternehmen wollte.
    Nach den Zwischenzeugnissen im Februar bekam die Klasse einen anderen Lehrer.
    „Donnerwetter“, sagte Jan, „das nenne ich anständig. Ihr hattet also mit eurer Aktion einen vollen Erfolg, Tim. Gratuliere! Und Hut ab vor Lehrern, die sich in ihren Entschlüssen korrigieren lassen! In meiner Kindheit gab es so etwas nicht. Wie schön, daß es heute anders ist.“
     
    Der Frühling kam.
    An der Wümme blühte das Schilf und auf den Weiden Löwenzahn und Wiesenschaumkraut.
    Eines Abends im Mai machte die ganze Familie einen Spaziergang auf dem Deich. Die Luft war lind, Hunderte von Fröschen quakten in den Braken, es roch nach frischem Heu.
    Jenny trottete mit Lady vorneweg, dann folgte Tina, und den Schluß machte Jan mit den Kindern.
    Nach einigen Kilometern setzten sie sich auf eine Bank, mit dem Blick nach Bremen, und ruhten sich aus.
    Unmerklich senkte sich die Dämmerung herab.
    „Seht mal“, sagte Jan, „in jedem der Häuser da am Horizont, in denen jetzt nach und nach die Lichter angehen, wohnen Menschen, alle mit einem ganz persönlichen Schicksal. Wie viele von ihnen mögen in diesem Augenblick sehr glücklich sein und wie viele Schmerz und Trauer tragen. Immer wenn ich hier sitze und auf die ferne Stadt blicke, fallen mir Geschichten ein, unzählige, ich könnte pausenlos erzählen.“
    „Dann fang man an“, forderte Jenny ihn auf, „ich höre gern Geschichten!“
    „Ja, bitte, Onkel Jan!“ rief Nicole. „Wir haben schon lange keine Geschichte mehr von dir gehört.“
    „Du könntest ihnen doch eigentlich mal erzählen, warum man dich
    Jan Tabak nennt“, sagte Tina. ,,Das wird sie doch bestimmt interessieren.“
    „Wirklich?“ fragte
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