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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler
Autoren: Craig Russell
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begegnet?«
    »Nein. Eigentlich habe ich nur einmal mit ihr gesprochen. Ich war gerade dabei, die Treppe zu fegen, als sie auf dem Weg nach oben an mir vorbeikam.«
    »Haben Sie sich mit ihr unterhalten?«
    »Kaum. Sie sagte guten Tag und machte eine Bemerkung über das Wetter, bevor sie weiterging. Ich hätte sie zu einer Tasse Kaffee hereingebeten, aber sie schien es eilig zu haben. Sie sah aus wie eine Geschäftsfrau - sehr elegant angezogen. Teure Schuhe, wenn ich mich recht erinnere. Wunderbare Schuhe. Ausländische. Sonst habe ich sie nicht oft auf der Treppe gehört. Ich dachte, dass sie wahrscheinlich eine Menge Geschäftsreisen macht.«
    »Hatte sie viele Besucher. Besonders Männer?«
    Frau Steiner zog ihr Gesicht wieder in konzentrierte Falten. »Nein ... nein, ich habe kaum jemanden gesehen.«
    »Ich weiß, es ist sehr unerfreulich, aber ich muss Sie das fragen, Frau Steiner: Deutete irgendetwas darauf hin, dass sie eine Prostituierte gewesen sein könnte?«
    Unglaublicherweise weiteten sich die Eulenaugen noch mehr. »Nein, auf keinen Fall. War sie das?«
    »Wir wissen es nicht. Wenn sie das war, hätten Sie wohl mehr Männer kommen und gehen sehen.«
    »Nein, ich bin sicher, dass mir nur zwei oder drei Besucher begegnet sind. Aber da Sie es erwähnen - alle waren Männer. Ich habe nie eine andere Frau bemerkt.«
    »Können Sie die Männer beschreiben?«
    »Nein, bestimmt nicht.« Wieder schüttelte sie langsam den Kopf.
    »Ich bin mir nicht einmal sicher, dass es mehr als zwei Männer waren. Vielleicht habe ich denselben mehr als einmal gesehen.« Sie zeigte an Fabel vorbei durch den Flur auf die matte bronzene Glasscheibe in ihrer Wohnungstür. »Es waren nur Gestalten vor der Tür - eigentlich bloß Schemen.«
    »Sie würden also keinen von ihnen wieder erkennen?«
    »Nur den jungen Mann, der ihr die Wohnung untervermietet hat ...«
    »Das muss Klugmann sein, Herr Hauptkommissar«, warf Beller ein. »Er hat die Leiche entdeckt und uns angerufen.«
    »Ist er oft hierher gekommen?«, fragte Fabel.
    Die alte Frau hob ihre schmächtigen Schultern. »Ich habe ihn nur zweimal gesehen. Wie gesagt, er könnte eine der Gestalten gewesen sein, die rauf- oder runtergingen. Oder vielleicht waren die beiden Male seine einzigen Besuche.« Sie warf einen Blick auf die Glasscheibe der Tür am Ende des kurzen Flures. »So ist es, wenn man alt wird, junger Mann. Die Welt schrumpft und schrumpft, bis sie nur noch aus Schatten besteht, die an deiner Tür vorbeigehen.«
    »Wann hat Klugmann sie Ihres Wissens zum letzten Mal besucht?«
    »Letzte Woche oder vielleicht in der Woche davor. Entschuldigung, ich habe kaum darauf geachtet.«
    »Macht nichts, Frau Steiner. Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe.«
    Fabel stützte sich ab, während er sich aus dem Sessel erhob.
    »Herr Hauptkommissar?« Die wässrigen Eulenaugen blinzelten.
    »Ja, Frau Steiner?«
    »Hat sie sehr gelitten?«
    Es hatte keinen Zweck zu lügen, denn bald würden die Einzelheiten in allen Zeitungen stehen. »Leider ja. Aber nun hat sie ihren Frieden gefunden. Auf Wiedersehen, Frau Steiner. Wenn noch irgendetwas ist, wenden Sie sich bitte an einen der Beamten.«
    Die Worte schienen die alte Frau nicht zu erreichen, denn sie schüttelte nur traurig den Kopf. »Tragisch. Sehr tragisch.«
    Als sie die Wohnung verließen, fragte Fabel den Polizeimeister: »Sie waren also als Erster am Schauplatz?«
    »Ja, Herr Hauptkommissar.«
    »Und sonst war niemand da?«
    »Nein. Nur der Mann, der uns angerufen hat. Und dann auch das junge Ehepaar von unten.«
    »Sie haben keinen älteren Mann herumlungern sehen?«
    Beller schüttelte nachdenklich den Kopf. »Auch später nicht, als sich die Gaffer angesammelt hatten? Einen kleinen, stämmigen Mann von Ende sechzig? Er scheint Ausländer zu sein. Slawe, vielleicht Russe.« 
    »Nein, tut mir Leid. Ist es wichtig?«
    »Keine Ahnung«, meinte Fabel. »Vermutlich nicht.«
     

 
    Hamburg-St. Pauli,
    Mittwoch, den 4. Juni, 7.30 Uhr
      Das Vernehmungszimmer der Davidwache lieferte ein Beispiel für effektiven Minimalismus. Die Strenge der getünchten Wände wurde nur von der Tür und einem einzelnen Fenster durchbrochen, das auf die Davidstraße hinausgeschaut hätte, wäre seine Scheibe nicht trübe gewesen wie gefrorene Milch, sodass die Morgendämmerung zu einem vagen Glühen wurde. Ein Ende des Vernehmungstisches war an die Wand geschoben worden, und an den beiden Schmalseiten standen jeweils zwei Metallrohrstühle. Auf
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