Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Zierkarpfen zu füttern. Der größte von ihnen, den Robin Sumo nannte, saugte an meinen Fingern, und ich streichelte seinen glitschigen Kopf, bevor ich zum Haus zurückging. Drinnen machte ich einige Lampen an, nahm einen kleinen Koffer und packte. Ich rief Robin in ihrer Werkstatt an und sagte ihr, dass ich für ein paar Tage verreisen würde.
    »Ich wünsch dir einen schönen Flug, Liebling. Wann kommst du wieder?«
    »Heute Abend spät oder morgen früh, je nachdem, wie alles läuft.«
    »Ruf mich an und sag es mir. Wenn du heute Abend kommst, bleibe ich so lange wach. Wenn nicht, bleibe ich länger hier und mache die Mandoline fertig.«
    »Schön. Ich ruf dich um sechs an.«
    »Pass auf dich auf, Alex, ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch.«
    Ich zog einen Sportmantel über, nahm den Koffer, ging auf die Terrasse und schloss die Tür hinter mir. Gegen halb elf kam ich am Burbank Airport an.

33
    Das Krankenhaus lag auf einem Hügel, von dem aus man auf den Ozean blickte, inmitten von frischem Grün, umgeben von dem für Monterey typischen Dunst. Es war ein Muster an Flachbauarchitektur, karamellfarbene Bungalows, die locker um ein zweistöckiges Verwaltungsgebäude gruppiert waren. Über das Gelände führten gepflasterte, von Blumenbeeten gesäumte Wege, hier und da beschattet von den blätterreichen Zweigen der Küsteneiche. Der kobaltblaue Himmel über den roten Ziegeldächern war von unwirklicher Schönheit. Am Horizont sah man die Silhouette einer allein stehenden, breit gewachsenen Pinie. Darum herum wuchsen blaue Lupinen und strahlend gelber Ginster, die wie Farbtupfer auf einem Landschaftsbild von Nolde wirkten.
    Die Fahrt von Carmel hierher war ruhig und erfrischend gewesen, man hörte nichts als das Brausen des Ozeans, das Tuckern im Motor des Mietwagens und das Geheul eines freienden Seelöwen.
    Ich war zuletzt mit Robin hier gewesen, wir hatten eine herrliche Ferienwoche hier verbracht und das getan, was man im Frühling auf der Halbinsel von Monterey so tut: Wir hatten das Aquarium besichtigt, unter einem strahlenden Sternenhimmel Meeresfrüchte gegessen, Antiquitätenläden durchstöbert und uns auf einem engen, fremden Bett geliebt. Dies alles schien mir jetzt, wo ich auf einer Bank an der Klippe saß und durch die Gischt des Ozeans hindurch in die Ferne schaute, endlos lange her zu sein.
    Ich sah mich um, blickte zu den Bungalows hinüber, sah lauter fremde Leute, die sich friedlich auf Bänken niedergelassen hatten, spazieren gingen oder im Gras lagen und sich auf ihre Ellbogen stützten. Sie unterhielten sich, spielten Brettspiele, warfen Frisbee-Scheiben oder blickten einfach nur in den Himmel.
    Der Strand war leuchtend weiß, gemustert von der weichenden Flut, getupft durch eine Reihe kleiner, runder Felsen. Dazwischen lagen kleine Teiche, die die Flut zurückgelassen hatte; hier und da waren dicke Büschel von Algen liegen geblieben. Ein Pelikan durchbrach die Stille, er schlug kräftig mit seinen weit ausladenden Flügeln, dann hob er sich hoch in die Lüfte und segelte in Richtung Japan davon.
    Nachdem ich eine Viertelstunde gewartet hatte, brachte ein junges Mädchen in Jeans und rotem Kittel Jamey zu mir. Sie trug rotbraune Zöpfe, hatte das freundliche, offene Gesicht eines Bauernmädchens und hatte mit einem Filzstift rote Blumen auf ihren Schwesternkittel gemalt. Sie hielt Jamey liebevoll am Arm, als sei er ihr Freund, ließ ihn nur widerstrebend los, setzte ihn neben mich auf die Bank und sagte, sie sei in einer halben Stunde zurück.
    »Bis gleich, James, lass es dir gut gehen.«
    »Bis gleich, Susan.« Seine Stimme klang etwas rau.
    Als Susan gegangen war, begrüßte ich ihn.
    Er wandte sich mir zu und nickte. Dann blinzelte er in die Sonne.
    Er roch nach Haarwaschmittel. Sein Haar war kurz geschnitten, auf seiner Oberlippe sah man den Ansatz eines Schnurrbarts. Er trug ein neues maronenfarbenes T-Shirt, graue Hosen und Turnschuhe ohne Strümpfe. Die Kleider waren ihm zu weit, seine Fußknöchel waren dünn und weiß.
    »Schön ist es hier draußen«, sagte ich.
    Er lächelte. Dann berührte er seine Nase mit einem Finger. Ganz langsam, als versuche er, seine Bewegungen zu koordinieren.
    Es vergingen mehrere Minuten.
    »Ich freue mich, dass Sie hier neben mir sitzen. In der Stille fühlt man sich so einsam«, sagte er.
    »Das verstehe ich.«
    Wir beobachteten, wie sich eine Schar Möwen auf den Felsen niederließ. Er atmete tief die salzige Luft ein. Er schlug die Beine über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher