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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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alles in Ordnung war, und die Gesellschaft an den Fenstern lachte, denn er wußte nicht, daß hinter ihm das winzige Kind ging und die Hände bedächtig auf dem Rücken hielt, wie er. Und im kalten kalten Mai war das Land ein Garten. Das war angefangen, und es sollte dauern.
    Das andere kam von der Innung in Gneez. Sie hatten versprochen, sie würden ihn mitnehmen, und sie nahmen ihn mit. Was da angelegen hatte, war die Verdingung eines Auftrags durch die Reichswehr, die jetzt Wehrmacht hieß, und ausgeschrieben waren Bebauung und Straßenbau und Arbeiten für Tischler und Klempner und Glaser und Dachdecker und Schornsteinbauer und Gärtner auf mehreren Hektar nördlich von Jerichow, in der Mitte zwischen der Stadt und der See, wo das Land recht hoch über dem Wasser lag. Bevor sie Cresspahl mitnahmen, mußte noch eine Kleinigkeit aus der Welt geschafft werden.
    Ich hör, du hast da zehntausint Mark auffe Raiffeisenkasse, Cresspahl.
    Dat sechst du, Böttcher. Ick sech dat nich.
    Unt wenn das fünfzntausint sünd, Cresspahl. Das is es nich.
    Ach so.
    Jå, nich. Das geht nich. Nimm das da weg und tu das nach Wismar, nach Lübeck, wohin du willst. Ich muß das sagn könn: Cresspahl hat höchsns achthundert bei Raiffeisen. Ich muß das mit gutn Gewissn sagn könn.
    Måkt wi, Böttcher. Schön Dank ook.
    Dann nahmen sie ihn mit und luden ihn ein in das Wohnzimmer des Innungsmeisters und rechneten die Lose aus, denn die Reichswehr in Mecklenburg war bekannt dafür, daß sie die Handwerksbetriebe bevorzugte, und die Innung von Gneez wollte den Auftrag als Ganzes. Tatsächlich blieben die Handwerker im Kreise Gneez fast ganz unter sich bei der Anlage von Jerichow Nord. Nur für die Betonarbeiten und die Stahlbauten kamen Spezialfirmen aus Berlin und Hamburg. So bekamen die Hotelbesitzer auch noch etwas ab. Da war für fast jeden gesorgt. Da lag etwas in der Luft, da war was zu merken, und manch Einer sprach es auch aus: Nu geit dat los. Und Bauunternehmer Köpcke hatte so viel Grund zur Freude, er grüßte auch wieder Cresspahl, obwohl der ihn bei seinen Umbauten keinen Pfennig hatte verdienen lassen. Pfennige waren nun genug da, und über die Mark hatte auch Keiner zu klagen. Allerdings ging es nicht Jedem nach seiner Mütze. So hatte Cresspahl sich vor allem das Offizierskasino gewünscht. Es war ihm geradezu darauf angekommen. In ein Kasino kommen die Leute, das spricht sich herum. Da sind auch vermögende Bürger zu Gast. Was Cresspahl da ausstellen wollte waren massive Rotholzbuchten an drei Wänden. Für die Mitte hatte er sich drei Tische ausgedacht, damit man sie leicht zu einer großen Tafel zusammenstellen konnte oder zu Gunsten einer Tanzfläche entfernen. Früher war das so gewesen, da wurde im Kasino getanzt. Aber die Innen-Einrichtung des Kasinos bekam Cresspahl nicht, und er durfte auch nicht darauf drängen, die bekam Wilhelm Böttcher, Meister der Innung, denn er hatte diesen Fisch ans Land gezogen. Am Ende war Wilhelm Böttcher auch nicht zu beneiden, denn die Reichswehr, oder Wehrmacht hieß sie ja nun, hatte ihm einen Menschen geschickt, der strich in seinen Zeichnungen umher, daß es nur so eine Art hatte. Also gab Cresspahl sich zufrieden mit den Betten, den Wandschränken, Schilderhäuschen und dem Lattenrost, auf dem der Posten seine Wache stehen muß, sonst kriegt er kalte Füße. Und Gesellen wie ungelernte Arbeiter bekam er nun fast mehr als er in seinem Haus unterbringen konnte, er mußte in aller Eile die alte Futterkammer in der Scheune zu einem Schlafraum ausbauen. Und wenn Else Pienagel ankam und wollte einen Eßzimmerstuhl so schön aufgearbeitet haben wie damals ihren Nähschrank, so konnte er ihr nicht versprechen, wann sie den Stuhl holen konnte, denn zum Bringen reichte die Zeit auch nicht mehr. Und es war was zu sehen, es kam was auf den Tisch. Bis Ende 1935 hatte er nun noch eine Bandschleifmaschine kaufen können und eine Kettenfräse und eine Furnierfräse und eine Winkeleinbaumaschine, und man mochte gegen die Deutsche Arbeitsfront und das besoffene Schwein Ley ja nun dies und das sagen, aber immerhin war Dr. Erdamer sich nicht zu gut für einen hohen Posten in diesem Verein gewesen, und Dr. Erdamer hatte Cresspahl eine Gelegenheit bei den Deutschen Holzwerken Schwerin verschafft für die neuen Maschinenkäufe, und so hatte er für alle Maschinen zusammen nur 9500 Reichsmark bezahlen müssen. Sonst wären es gut und gern 11 000 Reichsmark geworden. Das hieß nun nicht mehr
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