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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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näher bekannt mit der Deutschen Demokratischen Republik, und vielleicht möchte sie den Schmerz der dortigen Regierung teilen, daß ich es nur dreieinhalb Jahre mit ihr versucht habe und dann dahin ging, wo ein anderer Pfeffer wächst. Das stört de Rosny nicht. Im Gegenteil, er hält das für nicht ungünstig. Es ist wahr, ich muß weder de Rosny noch dem Ministerium des Innern oder des Äußern der D. D. R. in eingeschriebenem Brief anvertrauen, daß ich eine Freundin namens Anita habe, Anita mit dem Roten Haar, die privaten und natürlichen Personen heraushilft aus der D. D. R., und daß ich ihr bisher noch nichts habe abschlagen können. Da wäre nun aber die Arbeit in der Abteilung Manöverschäden bei der N. A. T. O. im Wald bei Mönchengladbach. Das findet de Rosny eine Arabeske, die der Vertrauenswürdigkeit eher dienlich ist. Mag sein, aber wie ich zu der Arbeit kam. Was er nicht fragt, kann ich ihm nicht beantworten. Und daß ich von Dr. Blach nicht gehört habe, seit Hauptmann Rohlfs ihn den ostdeutschen Gerichten übergab, und nicht einmal seit sie ihn wieder auf die Straße gelassen haben, de Rosny findet es ausreichend. Damit wäre also der zweite Punkt der Tagesordnung erledigt. Offenbar habe ich, alles in allem, die passenden Kenntnisse und das passende Leben für den Fischzug, den unser verehrter Chef de Rosny auf dem osteuropäischen Kreditmarkt vorhat. Dann möchte ich jetzt nach Hause dürfen.
    Aber Marie hat noch eine Frage. Bei der Vernehmung über meine Biographie hat sie aufgepaßt wie ein Schießhund, und tatsächlich hat sie ja von Manchem zum ersten Mal gehört. Nun zeigt sich, daß sie die ganze Zeit noch an etwas Anderem gedacht hat, und es wird reinweg ein Interview mit de Rosny. Sie bringt ihre Frage etwas befangen vor, anfangs mit gesenkten Augenlidern, und sie bleibt im Allgemeinen, sie nennt nicht de Rosnys Firma: Trifft es zu, daß die Kreditinstitute aus dem Krieg in Viet Nam Gewinne ziehen?
    De Rosny hat den Mund noch nicht offen, und schon glaubt Marie ihm alles, was er sagen wird. Denn er hat sich nicht verführen lassen zu dem befremdeten Seitenblick auf die Mutter, die ihr Kind mit solchen kommunistischen Zwangsvorstellungen auf das Leben vorbereitet; er hat sogar darauf verzichtet, sich blickweise über das Kindliche an der Frage zu belustigen. Er setzt sich auf seinem Stuhl zurecht, er lehnt sich vor, er stützt die Ellenbogen gegen seinen Damast, er legt die Hände an einander, fast faltet er sie, und er blickt Marie ernst an. Er gibt sich die Mühe eines Schauspielers, der den Arzt am Bett eines Schwerkranken darstellen soll. Auch seine Stimme ist tiefer geworden. - We: sagt er, und hält inne, als müsse er um der besseren Sorgfalt willen noch einmal alles erwägen. Jetzt ist Marie erschrocken. Das Geld selbst spricht mit ihr, und das Geld sieht sie an aus festen und besorgten Blauaugen, während es ihr ins Gesicht spricht.
    – Wir wünschen von ganzem Herzen, daß der Konflikt in Indochina beendet wird, so oder so, jedenfalls daß unser Land nicht länger daran beteiligt ist. Wir glauben nicht an einen Frieden mit einem amerikanischen Sieg, nicht einmal in zwei Jahren. Und den Frieden in Indochina ohne einen Sieg auf unserer Seite, den wir in zwei Jahren haben können, den wollen wir jetzt. Denn ein Krieg bringt und züchtet Inflation. Inflation, young lady, ist etwas Furchtbares für eine Bank. Auf die Dauer setzt ein Krieg die Regierung in die Lage, den Banken die Hände zu binden, ihnen bis ins Kleinste vorzuschreiben, was sie tun dürfen, und was nicht. Es wird schon jetzt eine grauenhafte Anstrengung kosten, die Krankheiten zu reparieren, die sich hinter der augenblicklichen Scheinblüte der Wirtschaft verstecken. I’ll tell you, young lady. If Mr. Johnson were to announce defeat in Viet Nam and cutting of our losses, the market would jump 50 points. Was sage ich! 60 Punkte würde der Markt hochgehen, und das am ersten Tage. Und dann ist da die humane Seite, die wichtigste, my dear Mary. Bankers have human feelings too. Believe me: sagt de Rosny.
    Und Marie glaubt ihm. Sie beschwert sich mit einem erstaunten Blick bei ihrer Mutter, die das anders dargestellt hat, aber da die de Rosny nicht widerspricht, ist für Marie die Sache ausgestanden. Niemals hätte man Marie in dies Haus mitnehmen dürfen.
    Zum Abschied wird nun noch eine in weißes Tuch eingeschlagene Kiste ans Auto getragen, und die italienische Weihnachtsschnitzerei steht nicht mehr wo sie war.
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