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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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Erweist sich ein angestellter Mensch als durchaus geeignet für eine lohnende Aufgabe, so kann man ihn schon mal mit einem Geschenk im Werte von sagen wir tausend Dollar fester binden, und sei es, das Geschenk gehe an das Kind.
    – We all are wishing you a pleasant Christmas: sagt de Rosny und er bleibt wahrhaftig stehen vor seinem ererbten Portal bis der Wagen die Auffahrt verlassen hat. Marie winkt noch durchs Rückfenster, als er sie mit Sicherheit nicht mehr erkennen kann.
    Und Marie kriegt noch etwas dazu. An diesem Tage hören die falschen Geschenke gar nicht mehr auf. De Rosny wünscht seinen Fischzug diskret anzufangen. Daß ich Tschechisch lerne, soll mir einen Ferienaufenthalt in Prag erleichtern, und wenn ich noch einmal gefragt werde nach der Haltung der Bank zu Krediten an Länder Osteuropas, so lautet die geschicktere Auskunft: Die Politik des Unternehmens in dieser Richtung ist als nicht aggressiv zu bezeichnen, wiederhole: nicht aggressiv. Sonderbar, daß Dmitri Weiszand einen ganzen Abend und ein Essen beim Heiligen Wenzel darauf verwandt haben sollte, Mrs. Cresspahl mit dieser Frage auszuholen. Und auch Marie soll lieber so tun, als hätten wir diesen Abend bei Saft und Popcorn im Riviera-Kino verbracht, und wie erwartet ist Marie begeistert.
    – A real secret? sagt sie. - You mean a secret even the New York Times doesn’t know of?
    So ein Geheimnis soll das sein, und Marie macht das Spaß.

17. Dezember, 1967 Sonntag
    Entweder liegt es am Näherrücken des Weihnachtsfestes, oder die alte Dame New York Times wird nun allen Ernstes klapprig. Jetzt behauptet sie doch ohne Scham, es gebe einen westdeutschen Schriftsteller namens Günther Glass. Schon das th ist falsch, und das andere kann doch nicht sein. Ob die New York Times nicht weiß, daß mit der Familie Glass ein anderer Schriftsteller sein Leben zubringt, Jerome D. Salinger in Westport, Connecticut?
    Die New York Times war schon wieder in Ostdeutschland und hat nach dem Rechten gesehen und hat auch richtig einen gefunden. Hans-Dietrich Dahnke heißt er, Professor für Literatur an der Humboldt-Universität in Ostberlin ist er, und er sagt der New York Times: »Aber die Leute können nicht alles sehen, was in jedem Fall gedruckt wird. Es ist besser, wenn die Partei die Auswahl für sie trifft.« Na, und VERGISS NICHT DIE BEDÜRFTIGEN !
    Und die Luftwaffe schmeißt auf Hanoi was sie hat und sogar Mitglieder des Kongresses halten die Viet Cong für tüchtiger in der Verteilung des Bodens als die Regierung in Saigon und im ausgebrannten Postamt wurde ein angekohltes Päckchen mit 44 000 Dollar in bar gefunden und die Einbrecher der Stadt gehen jetzt in die Vororte und womöglich entsteht Schnupfen nicht durch einen Virus sondern aus psychischer Depression und Söhnchen Franzese ist wieder zu Hause bei seiner Tina und Hannah Arendt hat öffentlich erklärt: »Gewaltsamer Widerstand gegen die Regierung der Vereinigten Staaten ist absolut falsch« und, na was schon, GEDENKE DER BEDÜRFTIGEN !
    Im Jahre 1935 fing mein Vater zwei Sachen an.
    Das eine war, er machte sich einen Garten. Hinter dem Haus, vom Eingang bis zur Stirnseite der Werkstattscheune, war unbestelltes, verunkrautetes Land, und an einem Sonntagabend im März machte sich eine ganze Gesellschaft daran, den schon hart gewordenen Boden umzugraben. Da kamen, und brachten jeder seinen Spaten: Hilde Paepcke, Alexander Paepcke, Aggie Brüshaver, der alte und der junge Creutz (»wegen der guten Nachbarschaft«), Arthur Semig, Meta Wulff, Albert Papenbrock, Louise Papenbrock, die beiden Gesellen, die beiden Lehrjungen, Lisbeth Cresspahl, Cresspahl, und das Kind. Das war eine lange Front gegen das Land, und die stachen zu, und die kehrten die Erde um, und die warfen die Steine säuberlich auf einen Haufen, und da gab es Späße, denn Louise brach ihren Spaten ab, und rund um Heine Klaproth breitete sich eine dicke Beule nach hinten aus, und es gab Gelächter, denn Louise Papenbrock wollte sich bei ihrem Anteil nicht helfen lassen, und nach wenigen Stunden waren sie fertig. Lisbeth bekam die Ehre, die Wege zwischen den Beeten auszutreten. Die anderen bekamen Bier und eine Erbsensuppe aus dem allergrößten Kessel, der im Hause war. Creutz hatte zehn Obstbäume mitgebracht, aber den ersten wollte er nicht pflanzen, weil es sich anders gehörte, und so ging Cresspahl hin und pflanzte einen Baum und begoß ihn und hoffte auf gute Äpfel. Dann ging er noch einmal Lisbeths Wege ab und sah nach, ob
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