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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer
Autoren: authors_sort
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voran hingehalten hatte wie der einsame Ranger, war Joe danach nicht mehr derselbe gewesen. Damals hatte er erwartet zu sterben und das eigentlich auch verdient, weil er sich seine Waffe so dämlich hatte abnehmen lassen. Aber er war nochmal davongekommen. Danach hatten seine Hände so stark gezittert, dass der Lauf fast nicht ins Holster finden wollte, sondern Tänze darum aufzuführen schien. Seine Knie waren so weich gewesen, dass er sich an seinem Pick-up hatte abstützen müssen, um nicht zusammenzubrechen. Ote hatte ihn dabei die ganze Zeit amüsiert beobachtet. Wortlos hatte Joe dann mit zitternder Hand die Anzeige wegen Wilderei ausgeschrieben und Ote Keeley gegeben, der sie in die Tasche gestopft hatte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
    »Ich halt den Mund, wenn Sie den Mund halten«, hatte er gesagt.
    Joe hatte das Angebot nicht angenommen, Ote aber auch nicht verhaftet. Damit war der Handel gemacht - Otes Schweigen im Tausch für Joes Leben und Karriere. Später hatte sich Joe oft den Kopf darüber zermartert, meist mitten in der Nacht. Ote Keeley hatte ihm etwas genommen, das er nie mehr zurückbekommen würde. In gewisser Weise hatte Ote Keeley ihn doch getötet, jedenfalls
zu einem Teil. Dafür hasste Joe ihn, obwohl er außer zu Marybeth nie ein Wort darüber verlor. Schlimmer wurde das Ganze dadurch, dass der Vorfall schließlich doch ans Licht kam.
    Irgendwann im Sommer hatte Ote sich betrunken und allen in der Kneipe erzählt, was passiert war. Die Geschichte vom neuen Jagdaufseher, der sich seine Dienstwaffe von einem Ausrüster aus der Gegend hatte abnehmen lassen, hatte fröhlich die Runde gemacht und war sogar in der bösartigen, anonymen Kolumne »Ranch-Tratsch« der Zeitung »Saddlestring Roundup« erschienen. Solche Geschichten liebten die Leute im Twelve Sleep County. In der letzten Version hatte Joe sich sogar in aller Form in die Hose gemacht und Ote um seine Waffe angebettelt. Joes Vorgesetzter in Cheyenne, der Hauptstadt von Wyoming, hatte von den Gerüchten gehört und Joe angerufen, der daraufhin beschrieben hatte, was wirklich geschehen war. Dennoch hatte sein Vorgesetzter ihm einen Tadel verpasst, der für immer in seiner Personalakte stehen würde. Selbst eine förmliche Untersuchung des Vorfalls war noch möglich.
    In zwei Wochen hätte Keeley sich vor Gericht wegen Wilderei verantworten müssen. Klar, dass er jetzt nicht mehr erscheinen konnte.
    Ote Keeley war der erste Tote, den Joe außerhalb eines Sarges sah. Otes Gesichtsausdruck schien so leblos wie unwirklich. Er sah weder glücklich aus noch verblüfft, weder traurig noch gequält. Sein Gesicht - seit Stunden erstarrt - sagte Joe nichts darüber, was er sterbend gedacht oder gefühlt haben mochte. Joe unterdrückte das Bedürfnis, ihm die Augen und den Mund zu schließen, um ihn mehr wie einen Schlafenden aussehen zu lassen.
Er hatte schon viel erlegtes Wild gesehen, doch nur die Reglosigkeit und der durchdringende Geruch waren gleich. Wenn er tote Tiere sah, hatte Joe verschiedene Empfindungen, je nach den Umständen - von Gleichgültigkeit bis zu Mitgefühl und manchmal sogar bis zu stillem Zorn, der sich gegen gedankenlose Jäger richtete. Jetzt ist es anders, dachte Joe, denn der Tote hier ist ein Mensch. Es hätte auch mich erwischen können.
    Joe riss den Blick von der Leiche los und stand auf. Hier hatte tatsächlich ein Monster gewütet.
    Er hörte ein Geräusch und drehte sich um.
    Die Hintertür fiel laut ins Schloss. Sheridan kam im Nachthemd von der Veranda und hüpfte ihm - die Hände in die Luft gereckt - über den Betonweg entgegen, um zu sehen, was er gefunden hatte.
    »Geh ins Haus zurück«, befahl Joe mit so strenger Stimme, dass Sheridan auf ihren nackten Füßen herumfuhr und stracks kehrtmachte.
    Als Joe wieder drin war, erzählte er Marybeth auf dem Weg zum Telefon, wer der Tote war.

2
    Natürlich war Sheriff O.R. »Bud« Barnum nicht in seinem Büro. Auch sein Stellvertreter McLanahan befand sich außer Haus, wie Joe von der Telefonistin - einer Kettenraucherin namens Wendy, die überall Verschwörungen witterte - erfuhr. Beide seien am Morgen wegen eines Notfalls zu einem Campingplatz der Bundesforstverwaltung in die Berge aufgebrochen.

    »Ein paar Camper haben berichtet, gestern Abend sei ein verwundeter Mann mitten durch ihre Zelte geritten«, erzählte Wendy. »Der Verdächtige sei angeblich mehrmals durchs Camp geritten, habe dabei mit einer Waffe herumgefuchtelt und sie mit
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