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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer
Autoren: authors_sort
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Pyramidenpappel beleuchtet. Das Monster habe erst am hinteren Tor gerüttelt, dann den Riegel öffnen können und sei schließlich schwerfällig - so wie Mumien in alten Filmen - durch den Hof zur Hintertür getaumelt. Seine Augen und Zähne hätten gelblich gefunkelt, und Sheridan habe einen elektrischen Schlag verspürt, als der Kopf des Monsters
plötzlich herumgefahren sei und es offenbar gezielt in ihre Augen gesehen habe. Dann sei es geflohen. Behaart sei es gewesen und geglänzt habe es - wie mit Flüssigkeit übergossen. Zweige und Blätter hätten an seinem Körper geklebt, und es habe etwas Weißes - einen großen Sack vielleicht oder einen Karton - in der Hand gehalten.
    »Hör auf, Sheridan. Erzähl keine Monstergeschichten«, rief Joe. Der Traum beunruhigte ihn durch seine Genauigkeit in den Details. Normalerweise träumte Sheridan eher märchenhafte Geschichten, die von sprechenden Haustieren oder fliegenden Dingen bevölkert waren. »Du machst deiner kleinen Schwester noch Angst.«
    »Hab schon Angst«, erklärte die und zog ihre Bettdecke bis zum Mund hoch.
    »Dann ist der Mann langsam über den Hof und durchs Tor zum Holzstapel gegangen. Dort ist er zusammengebrochen und im Dunkel verschwunden. Und er ist immer noch da draußen.« Sheridan sagte den letzten Satz besonders eindringlich und mit aufgerissenen, Lucy zugewandten Augen, um bei ihr richtig Eindruck zu machen.
    »Moment mal, Sheridan«, sagte Joe plötzlich und kam mit dem Pfannenwender ins Zimmer. Er trug einen abgetragenen Frotteebademantel, den er vor zehn Jahren auf der Hochzeitsreise mit Marybeth in Jackson Hole aus einer Laune heraus gekauft hatte, und schlurfte in Filzpantoffeln, die ihm eine Nummer zu groß waren. »Du hast ›Mann‹ gesagt, nicht ›Monster‹. Du hast von einem ›Mann‹ gesprochen.«
    Sheridan sah zweifelnd und mit großen Augen auf. »Vielleicht war’s ein Mann. Vielleicht war’s gar kein Traum.«

    Joe hörte ein Auto, das viel zu schnell über die geschotterte Bighorn Road raste, aber bis er durchs Wohnzimmer gegangen war und die ausgeblichenen Vorhänge geöffnet hatte, war das Fahrzeug schon verschwunden. Nur eine Staubwolke wälzte sich träge über die Straße.
    Der Vorgarten wirkte noch recht grün und lag voller Plastikspielzeug. Dahinter stand der weiße, vor kurzem neu gestrichene Zaun entlang der Schotterpiste. Auf der anderen Straßenseite fiel das Gelände zum Twelve Sleep River ab, der sich hier in sechs Arme verzweigte, in denen Biber viele Dämme gebaut hatten. Aus dem brackigen Wasser stiegen im Sommer Wolken von Stechmücken auf. In diesem kleinen Binnendelta schien der Fluss Atem zu schöpfen, bevor er in kraftvollem Lauf durch die Stadt Saddlestring und weiter strömte. Dahinter stieg das Tal erst sanft, dann stärker an, um schließlich eine Steilwand namens Wolf Mountain zu bilden. Dieser Berg gehörte zur Kette der Twelve Sleep Mountains.
    Mit der Steilwand vor der Nase und den Gebirgsausläufern und dem Canyon im Rücken lebte Familie Pickett gut zehn Kilometer von der Stadt entfernt auf einem fast immer tief verschatteten Fleckchen Erde.
    Die Haustür öffnete sich, und Maxine kam reingefegt, gefolgt von Marybeth, deren Wangen knallrot waren. Joe fragte sich, ob das an der frischkalten Luft oder am langen Spaziergang mit dem Hund liegen mochte. Jedenfalls schien sie ärgerlich zu sein. Sie trug, was sie stets auf Winterspaziergängen trug: leichte Wanderschuhe, Drillichhose, Anorak und Wollmütze. Der Anorak spannte über ihrem hochschwangeren Bauch.
    »Ziemlich kalt draußen.« Marybeth nahm die Mütze ab, und blondes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. »Hast
du den Wagen durchrasen sehen? Das war Sheriff Barnum, und er fuhr viel zu schnell in die Berge.«
    »Barnum?« Joe war reichlich verblüfft.
    »Und dein Hund ist ausgeflippt, als wir nach Hause kamen. Er hat mir fast den Arm ausgerissen.« Marybeth hakte Maxines Leine vom Halsband los, und der Hund trottete zum Wassernapf und schlabberte spritzend.
    Wenn Joe nachdachte, wirkte sein Gesicht ganz ausdruckslos. Das regte Marybeth manchmal auf, denn sie fürchtete, die Leute könnten ihn für einfältig halten. Genau diese Miene war durch ein Foto in der ganzen Gegend bekannt geworden. Eine Nachrichtenagentur hatte es verbreitet, als Joe - damals noch in der Ausbildung - einen baumlangen Kerl wegen Angelns ohne Genehmigung festgenommen hatte. Den neuen Gouverneur von Wyoming, wie sich dann zeigte.
    »Wo wollte Maxine denn
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