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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer
Autoren: authors_sort
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Joe zu ihr - aber worauf, das wusste er nicht.
    Sie bretterten in ein trockenes Bachbett runter und kämpften sich mühsam wieder heraus. Die vier Räder
griffen unabhängig voneinander und schossen Staubfontänen in die Luft. Joe verlor beinahe die Herrschaft übers Lenkrad, das heftig zu den Seiten ausbrach. Dann bekam er es wieder unter Kontrolle und raste einen mit viel Gestrüpp bewachsenen Hang hinauf. Sein Mund war trocken, und er hatte - offen gesagt - große Angst.
     
    Ein Jagdaufseher trifft in seinem Revier selten auf Unbewaffnete. Jäger haben natürlich Gewehre, Schrotflinten und Pistolen dabei. Aber auch Wanderer, Angler und Camper schleppen viel zu oft Waffen mit sich herum. Und selbst Bogenschützen besitzen manchmal Geräte, mit denen sie dicke, dabei rasiermesserscharfe Pfeilspitzen durch Autotüren schießen können. All das gilt aber nur für die Jagdsaison. Jetzt war Sommer und allgemeine Schonzeit. Nur Wilderer oder Viehdiebe brachten da große Tiere zur Strecke. Und sie konnten zum Äußersten entschlossen und gefährlich sein, wenn man sie auf frischer Tat ertappte.
    Joe Pickett erreichte die Hügelkuppe und überblickte rasch die Lage - drei große Maultierhirsche lagen tot am Fuß des Hügels. Ihre Kehlen waren zum Ausbluten aufgeschlitzt, aber die Tiere waren noch nicht aufgebrochen und ausgeweidet. Ein bärtiger Mann in T-Shirt und Jeans und mit einer Kappe auf dem Kopf saß rittlings auf dem stattlichsten Hirsch. Der Mann war groß und kräftig gebaut, hatte starke Arme und einen gewölbten Brustkasten. Auf seinem T-Shirt stand »Glück ist ein dampfender Scheißhaufen«. Er war bestimmt zwanzig Kilo schwerer als Joe, schien aber nicht gefährlich, nur sehr aufgeregt darüber, dass man ihn geschnappt hatte. In der Hand hielt er ein tropfendes Messer. Sein Gewehr lehnte etwa
fünfzehn Meter entfernt an einem großen Salbeibusch. Er schien keine Pistole zu tragen. Sein Pick-up, ein verbeulter Dreivierteltonner, war am Hügel gegenüber halb im Wald abgestellt.
    Der Mann sah kurz zu Joes Auto hoch und machte ein langes Gesicht. »Verflucht«, sagte er dann so laut, dass Joe es trotz laufenden Motors hören konnte.
    Joe fuhr rasch den Hügel runter und hielt zwischen Mann und Gewehr, damit der Wilderer sich die Waffe nicht greifen konnte. Er stieg aus, sagte »Platz!« zu Maxine und näherte sich dem Mann und dem erlegten Wild.
    »Lassen Sie bitte das Messer fallen.« Joe taxierte Hirsch und Wilderer. Der Mann warf das Messer zur Seite ins Gras. Warum sollte Joe seinen Revolver ziehen? Er sah dafür nur selten einen Grund. Und selbst wenn er ihn mal zog, zweifelte er, irgendetwas damit treffen zu können. Joe war ein berüchtigt schlechter Pistolenschütze. Ganz gleich, auf welche Entfernung - er war immer Klassenletzter gewesen.
    »Für die Rotwildsaison sind Sie vier Monate zu früh dran.« Jetzt erkannte Joe den Mann. Er war aus der Gegend, hieß Ote Keeley und war Ausrüster, führte also Leute von auswärts auf die Jagd. Joe hatte sein Foto am ersten Arbeitstag auf seinem Schreibtisch liegen sehen. Zusammen mit Otes Bitte, ihm für die Verlängerung seiner Ausrüsterlizenz die erforderlichen Referenzen zu geben.
    Ote seufzte. »Ist nur zur Selbstversorgung, Aufseher, ist alles nur zur Selbstversorgung. Einige Leute haben schließlich Familie.« Ote sprach mit tiefem Südstaatenakzent, den Joe nicht genauer lokalisieren konnte.
    Joe hockte sich neben den nächsten und größten
Hirsch und fuhr mit den Fingern über die dicht behaarte Basthaut, die das neu gebildete Geweih wie ein Filz bedeckte.
    »Ich glaub kaum, dass Sie ausgerechnet die einzigen Geweihträger des Rudels töten mussten, um Ihre Gefriertruhe zu füllen.« Er sah Ote Keeley scharf an. »Jemand, der auf Fleisch aus ist, hätte sich wahrscheinlich mit einer trocken stehenden Hirschkuh zufriedengegeben. Oder mit zweien.«
    Joe wusste, dass es einen Schwarzmarkt für Geweihe mit Basthaut gab - und dass eins dieser Größe in Asien Tausende von Dollar eintrug. Als Pulver eingenommen, wurden dem Hirschhorn dort Heilkräfte und eine potenzsteigernde Wirkung zugeschrieben.
    »Ich werd Sie anzeigen müssen. Sie sind Ote Keeley, nicht?«
    Ote war wirklich überrascht. Er wurde puterrot.
    »Das meinen Sie doch wohl nicht im Ernst, Mensch?« Ote schien sich sehr zu beherrschen, als befürchtete er, sich sonst noch eine Anzeige wegen Fluchens einzufangen.
    Joe erhob sich, zog den Formularblock aus der Hosentasche und schlug ihn auf.
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