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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer
Autoren: authors_sort
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in der letzten Nacht selbst für eine Ausgeburt ihrer »hyperaktiven Einbildungskraft« - wie ihre Mutter das immer nannte - gehalten hatte, als wirklich herausstellen? Als wären diesmal ihr Traum und die Realität verschmolzen. Plötzlich mischten lauter Erwachsene mit. Vielleicht war ihre Fantasie ja so mächtig, dass sie Dinge in die Wirklichkeit hinüberträumen konnte?
    Ach nein, das war doch Quatsch. Wenn sie das wirklich könnte, hätte sie etwas viel Hübscheres erschaffen als dieses Chaos. Ein Haustier zum Beispiel, und zwar ein lebendiges, keinen Teddy. Und dieses Tier würde nur ihr gehören.
    Sheriff Barnum fischte seine Zigaretten aus der Hemdtasche, schüttelte die Schachtel und ließ einen Glimmstengel in den Mund springen. Klasse Trick, alle Achtung. Den kannte Sheridan noch nicht. Der andere Mann zündete dem Sheriff die Zigarette an, und dem rauchte nun der Kopf.
    Sheridan trug ihre Brille. Hätte sie die nur in der Nacht aufgehabt! Dann hätte sie das Gesicht des Mannes genau gesehen, ihrem Verstand getraut und das Ganze nicht als Fantasiegebilde abgetan. Dann wäre sie sofort ins Schlafzimmer ihrer Eltern gerannt, statt sich die ganze Zeit mühsam einzureden, dass das Monster aus den Bergen nur ein Albtraum war.

    Schon prima, dass sie endlich deutlich sehen konnte. Aber furchtbar, dass sie als Einzige in ihrer Klasse eine Brille tragen musste. Ihr erster Schultag an der Twelve Sleep Grundschule war auch ihr erster Tag mit Brille gewesen. Ganz unvergesslich. Wenn sie auf ihre Schuhspitzen und den Boden sah, hatte sie den Eindruck, ein Riese zu sein. Und dieses komische Gefühl beim Gehen. Die Worte an der Tafel stachen so deutlich in die Augen, dass es wehtat. Schlimm genug, zu den Neuen an der Schule zu gehören und von den fieseren Mädchen unter »Landei« abgebucht zu werden (darunter fielen alle, die außerhalb der Weltstadt Saddlestring lebten). Schlimm auch, dass sie schon Bücher lesen und Gedichte aus dem Kopf aufsagen konnte, während die anderen noch mit jedem Satz kämpften. Aber dann auch noch mit einer Brille auftauchen zu müssen!
    Und obendrein die Tochter des neuen Jagdaufsehers zu sein! Das war hier schon etwas Besonderes, weil fast alle Väter auf die Pirsch gingen. Natürlich wussten Sheridans Mitschüler, dass ihr Vater andere ins Gefängnis bringen konnte. Kurzum - in den zwei Wochen, die sie nun in die zweite Klasse ihrer neuen Schule ging, hatte sie absolut keine Freunde gefunden.
    Ihre Tiere waren ihre einzigen Freunde - gewesen. Alle waren verschwunden. Der Verlust ihrer Katze Jasmin hatte Sheridan wirklich umgehauen. Sie hatte geweint und gebetet, dass sie zurückkäme - nichts. Dann hatte sie sich von ihren Eltern ein neues Haustier gewünscht - nichts. Sie sollte warten, bis sie etwas älter wäre. Und dann bekäme sie einen Fisch oder einen Vogel im Käfig, jedenfalls kein Tier, das aus dem Haus und sogar in die Hügel liefe. Einmal hatte sie mitgehört, wie Dad ihrer
Mutter von Kojoten erzählte. Das war nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen, aber danach konnte sie sich zusammenreimen, dass ihre Katze gefressen worden war. Genau wie zuvor ihr kleiner Hund. Fische, Vögel - ganz hübsch, aber nicht das Richtige. Sie wollte ein Tier zum Schmusen. Am besten ganz im Geheimen. Ihre Eltern sollten nichts davon wissen, auch nicht die doofen Mädchen in der Schule. Und die Kojoten sowieso nicht. Ein heimliches Haustier ganz für sie allein, das sie richtig lieb haben konnte. Und das auch Sheridan richtig liebhätte und verstehen und bemitleiden würde - ein einsames Mädchen, das ständig umzog, bevor sie Freunde finden konnte, und eine kleine Schwester hatte, die so anbetungswürdig war, dass einem glatt die Worte fehlten. Und jetzt war auch noch ein Baby unterwegs, das fast alle Zuneigung und Aufmerksamkeit ihrer Eltern verschlingen würde - und das womöglich für immer …
    Dann sah Sheridan da draußen etwas, das sie schnell wieder auf die Erde brachte. Im Holzstapel hatte sich was bewegt. Braun und blitzschnell war es unten über die Scheite geflitzt und am Boden zwischen zwei Hölzern in einem dunklen Spalt verschwunden.
    Der Sheriff und sein jüngerer Kollege redeten noch immer miteinander. Sie standen mit dem Rücken zum Zaun und zum Holzstapel. Was Sheridan gesehen hatte, war knapp hinter den beiden gewesen, vielleicht einen Meter entfernt. Aber sie hatten anscheinend nichts bemerkt und sich nicht mal umgedreht. Jetzt war nichts mehr zu sehen. Ob das ein
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